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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Leute, ob sie was gesehen haben.«
    »Welches rote Auto?«
    »Na, das von dem Kerl von der Kaminski, das immer abends vor Ihrem Haus steht.«
    »Ach so, das. Womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Eine Tafel Schokolade möchte ich, Milka Nuss«, sagt Frau Müller.
    Aber Frau Kronawitter weiß, dass sie nicht deshalb gekommen ist. Zum Tratschen ist sie gekommen. Sie liebt schlechte Nachrichten über alles. »Haben Sie schon gehört?«, hat sie damals gesagt. »Haben Sie es schon gehört? Ein paar junge Kerle sind in den Bahnhofskiosk eingebrochen, am Ostbahnhof. Man sagt, der Wiedemann Karl ist dabei gewesen, er und ein paar andere. Ist der Wiedemann nicht ein Freund von Ihrem Ludwig?«
    Dabei hat sie es schon genau gewusst, sie ist nur vorbeigekommen, um das Unglück der Mutter mit eigenen Augen zu sehen. Dienstags oder donnerstags vormittags muss es gewesen sein, zu einer Zeit, in der immer Frau Kronawitter im Laden war, weil der Theo dann einkaufen gefahren ist. Sicher war es dienstags oder donnerstags, denn beim Theo hätte sie sich das nicht getraut, beim Theo nicht.
    Jetzt steht sie wieder da, mit glänzenden Augen und offenem Mund. »Das waren bestimmt die Kerle aus der Potsdamer Straße, diese Rocker, der Sohn vom Bergmann und der junge Maier und ihre Bande. Das sind doch solche! Man liest es ja immer wieder in der Zeitung, was die so treiben.«
    »Ja, ja«, sagt Frau Kronawitter. »Man liest so manches. Eine Mark dreißig.«
    »Was? Ach so, ja. Hier.«
    Frau Kronawitter irrt sich beim Rausgeben. Das passiert ihr sonst nicht. Achtundvierzig Mark siebzig legt sie auf den Tisch.
    »Ich habe Ihnen doch nur zehn Mark gegeben.«
    Verwirrt nimmt sie das Geld und legt es zurück in die Kasse.
    »Aber auf zehn Mark müssen Sie mir schon rausgeben«, sagt Frau Müller. »Ist Ihnen heute nicht gut?«
    »Doch, doch.«
    Hoffentlich geht die bald wieder. Ich habe sie noch nie leiden können. Hinterhältig ist sie, ein richtiges, böses Tratschmaul. Ihr Mann war auch so. Im Jahr nach Ludwigs Tod ist er gestorben. Man soll ja über Tote nichts Schlechtes sagen und er hat viel leiden müssen vorher. Aber die Müller ist ein Miststück. Jetzt geht sie endlich.
    »Wir werden alle nicht jünger«, sagt Frau Müller noch in der Tür. »Hoffentlich geht es Ihnen morgen wieder besser.«
    Frau Kronawitter muss sich setzen. Jetzt wird sie überall herumerzählen, wie alt ich geworden bin, denkt sie, alt und nicht mehr ganz richtig im Kopf.
    Frau Kronawitter gibt sich einen Ruck. Sie steht auf, holt die Leiter und staubt die Pralinenschachteln in den oberen Regalfächern ab. Edle Tropfen in Nuss sind Theos Lieblingspralinen gewesen. Ach Theo, warum haben wir die Zeit nicht genutzt, die wir gehabt haben. Aber du könntest mir jetzt auch nicht helfen. Du hast Jungen nie verstanden, am wenigsten Ludwig.
    Sorgfältig wischt sie mit dem Lappen über die Schachteln, bevor sie sie in das Regal zurückstellt. Blumenbilder sind drauf, Landschaften oder einfach nur Fotos von Pralinen, vergrößert, braun glänzend, verlockend. Die Schachteln sind schön. Aber sie isst nicht so gern Süßes. Außer dem Stück Kuchen sonntags nachmittags nichts. In ihrem Alter ist das auch nicht gesund.
    »Guten Tag.«
    Zwei Polizisten sind hereingekommen.
    Mit weichen Knien steigt sie von der Leiter. »Sie wünschen?«
    »Sind Sie Frau Kronawitter?«, fragt der Ältere. Ein kräftiger Mann ist er, fast dick. So wie ihr Theo gewesen ist.
    Sie nickt.
    »Heute Nacht ist ein Auto vor Ihrem Haus beschädigt worden, ein roter Opel. Kennen Sie den Wagen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Ich kann Autos nicht unterscheiden. Ich bin eine alte Frau.«
    »Wir meinen das Auto, das öfter vor dem Haus steht. Es gehört einem Bekannten von Fräulein Kaminski.«
    »Ja, das Auto kenne ich.«
    »Wir haben gehört, dass Sie abends immer noch mal mit Ihrem Hund hinausgehen. Deshalb wollten wir Sie fragen, ob Ihnen vielleicht etwas aufgefallen ist.«
    »Nein, ich weiß nichts.« Sie ist aufgeregt. »Weshalb soll mir etwas aufgefallen sein? Ich gehe nur mit meinem Hund einmal um den Block, weil er vor dem Schlafengehen noch mal rausmuss, das ist alles. Ich gehe nicht spazieren. Ich achte nur auf meinen Hund, auf sonst nichts. Ich sehe auch nicht mehr gut, fast nachtblind bin ich schon. Ich bin halt eine alte Frau.«
    Sie kennen mich nicht, denkt sie. Sie können nicht wissen, ob meine Stimme nicht immer so klingt.
    Damals hätte ich sagen sollen, der Ludwig war daheim, denkt sie. Schwören

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