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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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sein?«
    »Irgendwann zwischen acht und zwei Uhr nachts. Da hat der Kerl es gemerkt.« Die Mutter schüttelt den Kopf. »Dass der sich nicht geniert, zur Polizei zu gehen. Mit einem Schraubenzieher oder so was soll es gemacht worden sein.«
    »Wenn das einer mit meinem Auto machen würde«, sagt der Vater, »ich glaube, den würde ich erschlagen.«
    Herbert zuckt zusammen. Nur nichts anmerken lassen, denkt er.
    Die Erbsensuppe schmeckt auf einmal schal, aber er kann nicht aufhören zu essen, jetzt nicht. Ruhig weiteressen, das ist ganz wichtig. Er hält den Kopf über den Teller gesenkt und zerquetscht die Erbsen in seinem Mund zu einem dicken Brei, bevor er sie runterschluckt. Trotzdem hat er das Gefühl, Steine in seinem Bauch zu haben.
    Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch, sagte der Wolf. Ich dachte, ich hätte Geißlein gefressen, und jetzt sind es lauter Pflastersteine.
    Herbert nimmt das Bauchweh an wie eine Strafe. Er schluckt und schluckt und bittet um noch einen Teller Erbsensuppe. Sein Bauch wird immer voller und tut ihm jetzt richtig weh.
    »Wie der Junge heute isst«, sagt die Mutter. »Das ist was ganz Neues, wie der essen kann.«
    »Hast du das Messer noch?«, fragt der Vater.
    Herbert erschrickt. »Ja«, sagt er. »Natürlich habe ich es noch. Oder glaubst du, ich hätte es so schnell verloren?«
    Das Messer drückt gegen seinen Oberschenkel. Holz kann man mit dem Messer bearbeiten, aber davon wird es nicht schartig. Coca-Cola, das ist es. Ich habe eine Colaflasche damit aufmachen wollen, wird er sagen. Weil ich keinen Öffner mithatte. Und damit ist es passiert.
    Jeder weiß, dass er gern Coca-Cola trinkt. Die Erbsen drücken ihn jetzt weniger, aber der Vater fragt nicht weiter.
    »Ich fahre nachher zu Tante Irmgard«, sagt die Mutter. Sie hat ihren freien Nachmittag. »Kommst du mit, Herbert?«
    Er schüttelt den Kopf. »Ich muss lernen.«
    Es fällt ihm schwer, seine Angst zu verbergen. Die Polizei ist da gewesen. Kann sie herausfinden, wer es getan hat? Vielleicht mit Fingerabdrücken?
    »Haben die Polizisten Fingerabdrücke genommen?«, fragt er.
    »Nein, ich glaube nicht. Frau Schwab hat nichts davon gesagt«, antwortet die Mutter.
    »Das können die doch gar nicht«, sagt der Vater. »Die können doch nicht einfach von allen Leuten Fingerabdrücke machen, nur weil ein Verrückter ein Auto zerkratzt hat.«
    »Die Polizei kann alles«, sagt die Mutter. »Erst neulich hat wieder ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle einen Autofahrer erschossen. Du hast es doch auch gelesen, oder nicht?«
    »Nur weil sie Pistolen haben, sind das starke Männer. Sonst sind sie Scheißkerle, sag ich dir.« Der Vater kann Polizisten nicht leiden.
    Herbert wartet in seinem Zimmer, bis die Eltern weggehen. Er hat Angst. Er ist unruhig und weiß nicht, was er mit seinen Händen anfangen soll. Unschlüssig steht er da und nimmt ein Buch aus dem Regal. Sonnenuhren. Er hat eine Sonnenuhr bauen wollen im letzten Sommer. Er blättert in dem Buch. Schöne Uhren sind das. Seine ist nichts geworden, natürlich nicht. Sein Vater hat es gleich gewusst. Rausgeschmissenes Geld ist das, hat er gesagt, als er das Buch gesehen hat. Und so ist es auch gewesen. Herbert hatte sich ein Brett gekauft, ein großes für vierzehn Mark, um die Stäbe für die Uhr darauf zu befestigen. Auf das Brett wollte er Tierkreiszeichen malen und daran ist es dann schon gescheitert. Es ist nicht so geworden, wie er sich das vorgestellt hatte. Deshalb hat er gleich ganz aufgehört damit.
    Herbert stellt das Buch zurück ins Regal. Er versucht, Aufgaben zu machen, aber er versteht die Worte nicht, die er liest. Wenn die Bahnstrecke A siebeneinhalbmal so lang ist wie die Bahnstrecke B und diese wiederum …
    Die Mutter öffnet die Tür. »Papa ist schon weg. Ich bin um sechs wieder da. Wiedersehn.«
    »Wiedersehn, Mama.«
    Und wenn die Polizei noch mal kommt? Herbert hat Angst. Er hat keine Ahnung, was die Polizei tatsächlich mit ihm machen könnte. Aber er kann sich denken, was sein Vater mit ihm machen würde.
    Er geht in die Küche und schaut aus dem Fenster. Im Nachbarhof kicken Jossi und Hans lustlos mit einem Ball herum. Herbert zieht seinen Anorak an und rennt die Treppe hinunter. Er rennt so schnell, dass er vergisst, die Stufen zu zählen.
    »Hallo.«
    Die beiden schauen kaum auf.
    »Wollt ihr mal mit meinem Rad fahren?«, fragt Herbert. Jossi und Hans sind erstaunt.
    An seinem Geburtstag ist Herbert nachmittags mit seinem neuen Rad auf die

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