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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Liebe, um geistigen Austausch geht, dann müsste dieser geistige Austausch sich doch in Worten, Unterhaltungen, Gesprächen niederschlagen. Aber nein, nichts dergleichen. Das Reden fiel uns, wenn wir allein blieben, manchmal entsetzlich schwer. Die reinste Sisyphusarbeit war das. Kaum hat man eine Idee, was man sagen könnte, hat man es auch schon ausgesprochen und muss von Neuem schweigen und überlegen. Wir hatten uns nichts zu sagen. Was es über unser künftiges Leben zu sagen gab, darüber, wie wir uns einrichten würden und was
wir vorhatten, war alles gesagt, aber was weiter? Wären wir Tiere gewesen, dann hätten wir gewusst, dass wir gar nicht reden sollen, so aber sollten wir reden und wussten nicht, worüber, weil das, was uns beschäftigte, sich nicht mit Worten abhandeln ließ. Und dazu kam noch diese Unsitte des Konfekts, dieses hemmungslose Vertilgen von Süßigkeiten, und all die ekelhaften Hochzeitsvorbereitungen: das Gerede über die Wohnung, das Schlafzimmer, die Betten, über Morgenmäntel, Bademäntel, Wäsche und Toiletten. Verstehen Sie, bei einer Heirat nach alter Sitte, der Art Heirat, die der Alte vorhin meinte, sind Daunendecken, Aussteuer und Bett ja nur Nebensächlichkeiten, die das Sakrament begleiten. Bei uns aber, wo mindestens neun von zehn Heiratswilligen nicht nur nicht an das Sakrament glauben, sondern noch nicht einmal daran, dass das, was sie tun, eine gewisse Verpflichtung bedeutet; wo auf hundert Männer höchstens einer kommt, der nicht schon vorher verheiratet war, und auf fünfzig einer, der nicht von Anfang an vorhat, seine Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu betrügen; wo die meisten die Fahrt in die Kirche nur als Bedingung sehen, um in den Besitz einer bestimmten Frau zu gelangen – bedenken Sie, was für eine schreckliche Bedeutung
alle diese Nebensächlichkeiten da bekommen. Es scheint um überhaupt nichts anderes zu gehen. Das Ganze läuft auf eine Art Verkauf hinaus. Man verkauft ein unschuldiges Mädchen an einen Wüstling und umgibt diesen Verkauf mit bestimmten Formalitäten.»

XI
    «So heiraten alle, so habe auch ich geheiratet, und es begannen die berühmten Flitterwochen. Allein das Wort ist schon eine Gemeinheit!», zischte er wütend.«In Paris habe ich mir einmal alle möglichen Attraktionen angesehen und war dabei auch in einer Bude, in der laut Plakat eine bärtige Frau und ein Wasserhund zu sehen sein sollten. Wie sich herausstellte, war es nichts weiter als ein Mann in einem dekolletierten Frauenkleid und ein Hund im Walrossfell, der in einer Wanne voll Wasser herumschwamm. Das Ganze war vollkommen uninteressant; aber als ich ging, geleitete der Schausteller mich höflich hinaus, wandte sich an das Publikum, das vor dem Eingang stand, und sagte, indem er auf mich zeigte: ‹Fragen Sie den Herrn, ob es sich lohnt? Treten Sie ein, treten Sie ein, nur ein Franc pro Person!›
Mir war es unangenehm, zu sagen, dass es sich nicht lohne, und damit hatte der Schausteller vermutlich gerechnet. Und vermutlich ist es genauso auch bei denen, die die ganze Abscheulichkeit von Flitterwochen erlebt haben, aber niemanden enttäuschen wollen. Auch ich habe niemanden enttäuscht, jetzt aber sehe ich keinen Grund mehr, die Wahrheit zu verschweigen. Ich halte es sogar für notwendig, darüber die Wahrheit zu sagen. Es war peinlich, beschämend, widerwärtig, erbärmlich und vor allem langweilig, unsagbar langweilig! Es glich ein wenig dem Gefühl, als ich mir das Rauchen angewöhnte und davon Brechreiz und starken Speichelfluss bekam, den Speichel aber herunterschluckte und so tat, als ginge es mir ausgezeichnet. Wie beim Rauchen kommt auch hier der Genuss erst später: Die Eheleute müssen das Laster erst in sich heranzüchten, um es genießen zu können.»
    «Warum Laster?», sagte ich.«Sie sprechen doch von einer ganz natürlichen menschlichen Eigenschaft.»
    «Natürlich? Nein, ich sage Ihnen, ich bin im Gegenteil zu der Überzeugung gelangt, dass das nicht … nicht natürlich ist. Nein, es ist ganz und gar nicht natürlich. Fragen Sie die Kinder, fragen Sie jedes unverdorbene junge Mädchen. Meine
Schwester hat sehr jung geheiratet, ihr Mann war doppelt so alt wie sie und ein Wüstling. Ich weiß noch, wie verwundert wir waren, als sie in der Hochzeitsnacht vor ihm floh, bleich und tränenüberströmt kam sie angelaufen, am ganzen Körper zitternd, und um nichts in der Welt, sagte sie, um nichts in der Welt könne sie auch nur aussprechen, was er von ihr

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