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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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und sich zerstreut die Rechnungsbücher des Verwalters vornahm. Nachdem sie ein paar Bemerkungen gemacht und die Bodenverteilung an die Bauern geregelt hatte, ließ sie das Haus öffnen und ging in das Arbeitszimmer ihres Mannes die Bücher holen, die sie ihm mitbringen sollte. Erschauernd betrat sie das kalte Zimmer und sah sich um. Wie viele Erinnerungen! Wie viel Freude und Leid und Enttäuschungen hatte sie hier erfahren! Sie setzte sich und sah die Sachen ihres Mannes durch, seine Briefe und Papiere, das Tagebuch. Ihre froststarren Finger durchblätterten das ihr bekannte Buch auf der vergeblichen Suche nach etwas, was in irgendeiner Beziehung zu ihr stand. In der letzten Zeit ihres Lebens auf dem Lande hatte der Fürst seine Frau wie Luft behandelt, sie war für ihn in jeder Hinsicht uninteressant gewesen. Doch da stand ihr Name:«Ja, er schildert, wie ich ihn empfangen habe –
und empfindet nichts als Ärger.»Es folgte die Beschreibung der Jagd und der Dame, die daran teilgenommen hatte. Annas Herz pochte heftiger. Sie las und war entsetzt über den Zynismus der Ausdrucksweise ihres Mannes.
    «Ach, wie furchtbar! Und wie innig und lange ich ihn geliebt habe!», dachte sie mit einer merkwürdigen Aufwallung von Zärtlichkeit und warf das Tagebuch in den Tischkasten. Der Gedanke huschte ihr durch den Sinn, dass sie an ihrem Mann das so innig liebte, worauf ihre reine, liebende Natur Anspruch erhob, und nicht, was er ihr stattdessen zu bieten hatte.
    Sie legte sich schlafen, ohne entschieden zu haben, ob sie morgen früh nach Moskau oder zu Warwara Alexejewna fahren würde, um deren Bruder zu sehen. Sie fand die ganze Nacht kaum Schlaf. Das Bett war ungewohnt, die Tante des Verwalters, die der Fürstin ihre Daunendecken überlassen hatte und auf der Truhe schlief, stöhnte und schnarchte die ganze Zeit. Endlich war auch diese lange Dezembernacht vorüber, und sobald Anna die Gardine zurückzog und den strahlenden frostigen Morgen sah, beschloss sie, zu Warwara Alexejewna zu fahren. Sie packte ihre Sachen und hieß die Pferde anspannen. Ihre Phantasie war mit allen möglichen Vorwänden
beschäftigt, die ihren Besuch bei Warwara Alexejewna notwendig machten. Sie musste deren Schule sehen, sich mit ihr beraten, um von ihr zu lernen, schließlich wäre es einfach unhöflich gewesen, sie nicht zu besuchen. Doch als Warwara Alexejewnas Anwesen immer näher kam, klopfte Annas Herz heftig. Was wollte sie ihr sagen? Ein besonders vertrautes Verhältnis hatte zwischen ihnen nie bestanden. Welchen Vorwand sollte sie wählen? Und wozu fuhr sie, deren Platz in Moskau war, bei Mann und Kindern, eigentlich hierher, zu einer Frau, die sie kaum kannte? … Die Kinder? Ja, was mochten ihre Kinder jetzt machen? Manja und ihr Liebling, der kleine Juscha?
    Doch für solcherlei Überlegungen war es schon zu spät. Der Schlitten hielt an der Vortreppe, und Anna betrat unruhig und zaghaft den Vorraum des kleinen Bauernhauses Warwara Alexejewnas.
    Es war unheimlich still in dem Haus, nichts regte sich, als wohnte niemand hier. Alles war manierlich und sauber im Vorraum und dem Wohnzimmer, in das Anna einen Blick warf. Sie wollte schon wieder gehen, als mit weichen Schritten ein alter Diener hereinkam, ihr den Pelzmantel abnahm und sie bat, näher zu treten;
die Herrin sei zu Hause, erklärte er, und er werde sie gleich melden.
    Ziemlich lange musste Anna warten. Schritte wurden vernehmbar, die strenge, würdevolle und höfliche Warwara Alexejewna trat ein. Sie war offensichtlich höchst erstaunt über Annas Besuch, hörte sich ungläubig an, dass diese sich mit ihr über Angelegenheiten der Schule und der Erziehung der Bauernkinder beraten wollte, und bot ihr an, mit ihr zu frühstücken. Ihren Bruder erwähnte sie nicht, und als sich Anna nach seinem Befinden erkundigte, verdüsterte sich ihre Miene.
    «Es geht ihm nicht gut», sagte sie.«Ein fürchterlicher Husten. Ich wollte ihn zum Arzt nach Moskau schicken, aber er lacht und meint: ‹Zwölf Jahre lang bin ich schon in Behandlung. Ob früher oder später, ist das nicht einerlei? Das Ende bleibt das gleiche.› Er ist spazieren gegangen», fügte sie hinzu.
    Annas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.«Das Ende früher oder später… Ja, so muss es eben sein», dachte sie.«Mein Lebensweg und mein Gewissen sollten durch nichts belastet werden. Alles zum Besten… Aber wie will ich weiterleben? Woran Halt finden?», schrie es in ihr auf, und keinerlei Gedanken an

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