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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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vorsichtig um sie herum und besprühte sie mit einem Parfumfläschchen. Die Tür öffnete sich, Anna zuckte zusammen.

    Der Fürst trat ein, und als er seine Frau so herausgeputzt sah, blieb er verwundert und ungehalten stehen.«Wo willst du hin?», fragte er.
    «Ich begleite Marussja Pawlowitsch auf Bitte ihrer kranken Mutter auf den Ball», erwiderte Anna ruhig.
    «Wozu das? Und wieso hast du mir nichts gesagt? Eine Familienmutter – und sich auf Bällen herumtreiben …»
    «Was für Ausdrücke! ‹Herumtreiben›! Ich wollte Marussjas Mutter und ihr selbst einen Gefallen tun. Und außerdem liebe ich Bälle. Ich mag Glanz, Schönheit, die Ausgelassenheit der Jugend. Du weißt sehr wohl, dass ich auf den Bällen immer mit den alten Frauen zusammensitze und zuschaue wie im Theater.»
    «Wie soll ich wissen, was du dort machst?», sagte der Fürst heftig, wobei er kein Auge von seiner Frau wandte.«Ich kann dir nicht verhehlen, dass du heute sehr schön aussiehst», fügte er hinzu und schlug im Hinausgehen die Tür zu.
    Anna sah ihm verächtlich nach, und wieder gingen ihr Bechmetew und die unermessliche Weite der dörflichen Natur mit ihrer wehmütigen Stimmung, Herbstnebel und stilles, sehr stilles Glück durch den Sinn.
    Das Erscheinen der Fürstin Prosorskaja auf
dem Ball machte an diesem Abend besonders starken Eindruck. An der Tür des großen Saals drängte sich ein Grüppchen Männer. Ein Adjutant sagte:«Welch majestätischer Ballauftritt.»Anna blickte sich um. Stets freundlich und ruhig, gab sie mit ihrer Schönheit jedem das Gefühl, gerade ihn zu bevorzugen. Wie fast jede außergewöhnlich schöne Frau besaß sie jenen gütigen, alle liebkosenden Blick, der gleichsam ein Spiegelbild des Gesichtsausdrucks ist, mit dem man Schönheiten voller Wohlgefallen betrachtet.
    Doch Annas nachdenkliche und liebevolle Augen sahen an diesem Abend, wenn sie die ausgelassene bunte Menge betrachteten, immer häufiger den über ein Buch oder eine Zeichnung geneigten Kopf des von ihren heiß geliebten Kindern umringten Bechmetew, und sie überkam das Verlangen, von hier, aus diesem Moskauer Getriebe, fortzulaufen in die vertraute, schlichte, wohltuende Stille des Landlebens, wo allein sie glücklich sein konnte.
    Die heitere, strahlende Baronin Insbruk trat zu ihr und erkundigte sich, ob sie froh gestimmt sei.
    Anna lachte erstaunt und fragte, was der Ball denn zu bieten habe, um sie froh zu stimmen.
    «Mais il y a dans cette foule toujours quelqu’un qui vous intéresse?»

    «Oui, il y a foule, mais pour moi il n’y a personne» , erwiderte Anna traurig.
    «Un seul être vous manque, et tout est dépeuplé» , 21 deklamierte die Baronin einen Vers von Lamartine und verschwand lachend in der Menge, verwundert darüber, was Anna wohl so glücklich, heiter und strahlend machte. Sie, die nicht tanzte und mit niemandem kokettierte, musste sie sich nicht langweilen?
    Anna jedoch langweilte sich deshalb nicht, weil tief in ihrem Inneren der Funke wirklichen Glücks leuchtete, der Funke der Liebe Bechmetews, um die sie wusste und die ihr ganzes Leben von innen erhellte. Sie hätte sich das niemals eingestanden, konnte aber nicht anders, als es zu fühlen. Freute sich jemand an ihrem Anblick, dann stand ihr sogleich vor Augen, wie er sich daran erfreute. Ob sie ihren Pflichten nachkam, sich mit etwas befasste, las oder malte – immer überlegte sie, was er davon halten, ob er ihr Tun gutheißen würde. Hätte ihr jemand ihren seelischen Zustand klargemacht, sie hätte es entrüstet und entsetzt von sich gewiesen und gemeint, sie werde verleumdet und der Ehrlosigkeit bezichtigt. Doch so war es.

V
    Das Leben in der Stadt mit tagtäglicher Sorge darum, dass ihr Mann sich nicht langweilte und sie ihn bei sich und zu Hause hielt, mit unablässigem Bemühen, die gesellschaftlichen Beziehungen zu pflegen und trotzdem die Erziehung der Kinder nicht zu vernachlässigen – all das hatte Anna so sehr erschöpft, dass sie wenigstens zwei Tage aufs Land zu fahren beschloss, um«zu sich zu kommen», wie sie es nannte. Es zog sie in die Stille der Natur, zu den noch frischen Erinnerungen und den reinen Eindrücken des Landlebens, tiefinnerlich aber regte sich der zaghafte Wunsch, Bechmetew wiederzusehen. Sich dies einzugestehen versagte sie sich, doch das Bild des geliebten Mannes verschmolz unwillkürlich mit alldem, was sie aufs Land zog.
    Anna erklärte ihrem Mann, sie müsse nach Hause fahren, um auf dem Gut nach dem Rechten zu

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