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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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gesehen. Er hat mich zur Bahnstation gebracht. Schlecht geht es ihm, er hustet furchtbar.»
    «Wie? Auch das noch? Du bist mit ihm nachts gefahren, allein?»
    «Nicht nachts, sondern abends.»
    Der Fürst sprang auf und schritt im Kinderzimmer auf und ab.
    «Du führst dich weiß Gott wie auf!», schrie er.
    «Leise, du weckst den Kleinen.»
    «So kann man nicht leben! Das ist ja unglaublich! », schrie der Fürst weiter.«Du hast Kinder und bist bereit, dich jedem an den Hals zu werfen, der sich an dich heranmacht.»
    Anna schwieg, doch aus ihren Augen flossen Tränen. Niedergedrückt von Gewissensbissen und der Sorge um das Kind, gekränkt durch die
Verdächtigungen ihres Mannes, fand sie nichts zu ihrer Rechtfertigung vorzubringen; sie warf nur einen strengen Seitenblick auf ihren Mann, dann auf den Kleinen und flüsterte:«Leise, bitte.»
    Der Fürst verstummte. Einen Augenblick lang schwankte er, ob seine Vorhaltungen berechtigt waren, und begriff: Wenn seine Frau sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, dann nicht seinethalben, der sie so oft mit seiner Eifersucht kränkte, sondern dieses glühenden, heiß geliebten kleinen Jungen wegen.
    Er ging hinaus. Lange lief er in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Die Eifersucht quälte ihn in letzter Zeit immer mehr. Die Phantasie malte ihm die schmutzigsten und zynischsten Bilder. Bald sah er den nachts in das Zimmer seiner schlafenden Frau tretenden Verwalter, bald stand ihm Bechmetew, sein alter Freund, vor Augen, wie er sie im Schlitten umarmte. Und sie? Er kannte sie nicht; er hatte sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, was für eine Frau sie war. Er kannte ihre Schultern, ihre wundervollen Augen, ihr leidenschaftliches Temperament (er war so glücklich gewesen, als er es endlich geweckt hatte), ob sie aber glücklich war mit ihm, ob sie eine ganz und gar rechtschaffene Frau war und ihn liebte oder nicht, das hätte er nicht mit
Sicherheit sagen können. Sie gab zwar seinem Drängen immer wieder nach, doch was dahinterstand, das blieb ihm verschlossen.
    Während er zum zehnten Mal sein Arbeitszimmer durchschritt, rief er sich seine Liebesabenteuer vor der Hochzeit ins Gedächtnis zurück. Wie schlau und geschickt hatte auch er vertrauensselige Ehemänner hinters Licht geführt, um ihnen ihre Frauen abspenstig zu machen! Wie natürlich und amüsant waren diese andauernden Flirts gewesen, diese findigen Kniffe, mit denen er Rendezvous und Troikafahrten arrangiert oder, ohne dass es die Umgebung und vor allem der Ehemann merkte, unter dem flauschigen Umhang das warme Händchen der Dame gedrückt und ihre biegsame Taille an sich gepresst hatte.«Warum sollten andere nicht dasselbe mit meiner Frau tun? Warum sollte Bechmetew nicht die Gelegenheit nutzen, einer so schönen Frau den Hof zu machen, die sich ihm geradezu an den Hals wirft?»Immer mehr peinigte den Fürsten die Eifersucht, und der Hass auf die Frau, die sein alleiniger Besitz sein musste, wuchs mit schrecklicher Gewalt. Doch mit diesem Hass wuchs auch sein Verlangen, ein unbezähmbares, tierisches Verlangen, dessen Macht er spürte – und das erboste ihn noch mehr.
    Die Kinder, alle vier, erkrankten tatsächlich an Masern. Bei dem kleinen Juscha kam als Komplikation eine Lungenentzündung hinzu. Anna zog zu ihnen ins Zimmer und beobachtete mit schmerzlicher Beklommenheit ihren Zustand. Nächtelang saß sie da, den kleinen Juscha im Arm, oder ging mit ihm im Zimmer auf und ab. Über sein blau verfärbtes Gesichtchen gebeugt, hörte sie gequält auf sein Röcheln, atmete ihm ins Mündchen, küsste ihn, als wollte sie so ihr Leben, ihre Gesundheit auf ihn übertragen. Manchmal stand sie an seinem Bettchen und betete, betete, wie nur Mütter beten. Ihr Gebet war kein Bitten, dass Gott ihr Kind retten möge, sondern Eingeständnis ihrer Ohnmacht vor Gott und Sichergeben in seine Macht.«Da stehe ich, Herr, leidend, schwach und demutvoll. Erbarme Dich meiner; wenn es Dein Wille ist, so rette ihn!»
    Ihrem Mann war die Erkrankung der Kinder offensichtlich lästig. Er sprach davon, dass Anna die Gefahr übertreibe und allen im Haus das Leben zur Hölle mache. Er ging dem Arzt, der jeden Tag kam, aus dem Weg, und zürnte Anna, dass sie ihm uneingeschränkt vertraue. Doch Anna ließ sich dadurch nicht beirren, sie erwartete diesen warmherzigen und klugen Menschen
immer mit Ungeduld. Er bewies so viel Aufmerksamkeit und Anteilnahme gegenüber ihrem Kind und ihrem Leid. Mit so gütigen Augen betrachtete er

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