Kreuzzug
Spanisch sprachen. Seine Vermutung – wie wahrscheinlich die der meisten »Gäste« im Zug – ging dahin, in die Hände eines arabischen, auf alle Fälle islamistischen Terrorkommandos geraten zu sein. Wobei: Schloss die Verwendung der spanischen Sprache einen islamistischen Hintergrund aus?
Zumindest wäre Thien in der Lage, sich mit einfachen Sätzen verständlich zu machen. So viel Spanisch hatte er auf seinen Reisen in die Anden gelernt.
Als das entsprechende Kommando von vorn kam, stieß ihn sein Begleiter aufs Gleisbett und deutete dann mit der Maschinenpistole zum hinteren Ende des Zugs, das nur einige Meter entfernt war. Thien ging dem hellen Licht entgegen, das er die ganze Zeit von seinem Platz aus hinter sich hatte leuchten sehen. Es waren zwei Baustrahler, die die Höhle hinter dem Zug in taghelles Licht tauchten. In zwanzig oder fünfundzwanzig Metern Entfernung häuften sich die herabgefallenen Felsbrocken bis an die Decke des Tunnels.
Zwischen dieser unüberwindlich scheinenden Barriere und dem Zug hatten die Entführer aus weiteren Brocken eine halbrunde Mauer von rund fünfzig Zentimetern Höhe errichtet, in der ein Kämpfer hinter einem Maschinengewehr auf der Lauer lag. Die Waffe war in Richtung Felssturz gerichtet. Sollte sich jemand von außen durchwühlen, hätte er nicht den Hauch einer Chance, die Feuerstöße aus dem MG -Nest zu überleben. Thien ging davon aus, dass an der Vorderseite des Zuges die gleiche Vorkehrung getroffen worden war.
Der MG -Schütze hielt den Blick starr auf die Felsen gerichtet, während Thien in wenigen Metern Abstand zu ihm an die Wand des Tunnels pinkelte. Er prägte sich die Abmessungen des Stollens und den Standort der Halogenstrahler sowie die Lage des Maschinengewehrs genau ein. Er wusste, dass diese Festung von außen uneinnehmbar war. Eine Erstürmung des Zugs durch eine Eliteeinheit war unter diesen Umständen zum Scheitern verurteilt.
Als er die Hose wieder schloss und sich von der Tunnelwand zu seinem Entführer wandte, um von ihm zurück in den Zug begleitet zu werden, maß er die Strecke genau mit seinen Schritten ab. Er wünschte, sich mit jemandem über die Lage austauschen zu können. Vielleicht sogar mit jemandem, der sich mit solchen Situationen auskannte. Er hoffte inständig, dass der Mann, mit dem er vorhin Augenkontakt aufgenommen hatte, in irgendeiner Weise kampferprobt war. Der sah mit ein bisschen gutem Willen nach altem Soldaten aus.
Bevor Thien allerdings einen Angriffsplan gemeinsam mit diesem Mann würde schmieden können, war eine fundamentale Frage zu klären: Wie sollte er sich mit ihm über mehrere Sitzreihen hinweg verständigen?
Dazu kam ihm aber beim Betreten des Zuges eine Idee. Als er den Einstieg erklomm, sah er die Werbetafeln, die über den Fenstern des Zugs angebracht waren. Örtliche Sportgeschäfte, Hotels und Restaurants sowie Ski- und Automarken priesen darauf ihre Produkte und Dienstleistungen den in der Zahnradbahn sitzenden Touristen an. Thien suchte mit seinen Blicken die Reklameaufkleber ab und fand einen, der seinen Zwecken dienlich erschien. Er hatte viel Text, und die Buchstaben waren klar und deutlich gedruckt, so dass ihn, wie er hoffte, auch der Amerikaner von seinem Platz aus gut würde lesen können.
»Toyota Autohaus Krasnitzer – Ihr freundlicher Partner vom Fach«, stand auf der Werbetafel. In diesem Satz waren nicht alle Buchstaben des Alphabets enthalten, aber besser ging es eben nicht. Thien dachte in diesem Moment nicht daran, welchen Ruf als übler Schrauber der Krasnitzer im Tal hatte. Wenn er schon Hunderte von Garmischern mit verbastelten Gebrauchtwagen über den Tisch gezogen hatte, konnte er mit seiner Zugspitzbahnwerbung an diesem Tag vielleicht zur Rettung von ein paar von ihnen beitragen.
Thien wusste die Blicke aller im Waggon auf sich gerichtet, als er durch den Gang zurück auf seinen Platz ging, wieder eng gefolgt von dem Mann mit der Maschinenpistole. Er verzog keine Miene. Im Vorbeigehen sah er dem Amerikaner in die Augen und wandte dann schnell den Blick auf die Werbung der Firma Krasnitzer. Als der Mann beide Augenlider demonstrativ nach unten schlug, war klar, dass er verstanden hatte.
Kapitel zweiunddreißig
Eibsee-Hotel , 15 Uhr 30
S ie schreiben etwas auf ihre Homepage!« Dr. Schwablechner starrte seit zehn Minuten auf den Bildschirm seines Laptops und klickte im Fünfsekundenrhythmus auf den Refresh-Button. Bisher war bei jedem Neuaufbau der Seite nur die
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