Kreuzzug
Wie können die dort oben in einem verschütteten Tunnel wissen, was hier unten im Hotel vor sich geht? Sie konnten sich aber darauf verlassen, dass sich alle möglichen Menschen und vor allem Medienmenschen die beste Karte des Gebiets aus dem Netz holen würden, sobald irgendeine Meldung über ein Unglück im Zugspitztunnel die Runde macht. Und die haben sie geliefert. Gehen wir also davon aus, dass nicht nur ich diese Website aufgerufen hatte, sondern sie in einigen Nachrichtenredaktionen ebenfalls offen war. Die Einblendung der Szene aus dem Tunnel und die Schrift haben also andere Menschen auch ohne unsere Mithilfe gesehen.«
Schwablechner war froh, dass er als einer der Jüngeren im Raum die Funktionalitäten des Internets und als Pressereferent die Verhaltensweisen der Journalisten am besten kannte. Die Geschichte, die er sich da eben zusammengereimt hatte, war weit weniger beunruhigend als der Gedanke, die Angreifer könnten auf eine Pressekonferenz des Bayerischen Ministerpräsidenten und des deutschen Verteidigungsministers spekuliert haben, in die sie sich eingeklinkt hatten. Sein Fauxpas, irgendeine Karte aus dem Internet gezogen und an die Wand geworfen zu haben, wurde zudem durch den Hinweis ein wenig gemildert, dass dies wahrscheinlich auch andere an seiner Stelle getan hätten.
»Dennoch. Wenn das kein Filmchen aus der Konserve war, wie kommt das TV -Bild aus dem Tunnel heraus?«, beharrte BKA -Mann Schnur. Er wusste über Funkwellen so viel, dass sie niemals durch zig Meter Fels ein TV -Bild übertragen konnten.
»Das ist wirklich eine interessante Frage«, meinte Schwablechner. »Ich gehe stark von Konserve aus. Wir dürfen nicht der psychologischen Kriegsführung von Internetgangstern auf den Leim gehen.«
Verteidigungsminister von Brunnstein wollte sich nicht mit technischen Debatten aufhalten.
»Das werden alles die Spezialisten untersuchen. Herr Schnur, das ist jetzt erst mal Ihr Thema. Finden Sie’s heraus. Und zwar schnell. Wir haben jetzt zunächst andere Aufgaben. Wir müssen den Menschen beistehen, die sich in der Gewalt der Terroristen befinden. Ich betone:
falls
sie sich in den Händen von Terroristen befinden. Ich erwarte Ihre Lösungsvorschläge, meine Herren. Sie sind ortskundig. Gibt es Wege zum Zug? Von der Seite? Kann man sich dort hineingraben? Wie bekommen wir die GSG 9 an Ort und Stelle, damit sie das Terrorkommando ausschaltet? Noch mal:
falls
es ein Terrorkommando dort oben gibt.«
»Und vergessen wir bitte die Menschen auf dem Gipfel nicht«, warf Ministerpräsident Lackner ein. »Die haben die Geiselnehmer ja auch festgesetzt, wenn man es genau nimmt.«
»Na na, Hans-Peter, das ist ein wenig weit hergeholt. Immerhin haben die noch die beiden Seilbahnen. Und die Terroristen haben sich im Tunnel mit eingesperrt.« Der Verteidigungsminister konnte sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen, während er in die Krisenrunde blickte. Tatsächlich hatten sich die Geiselnehmer selbst im Berg festgesetzt. Wie wollten sie da jemals lebend wieder herauskommen? Wenn es sie gab?
Als hätte der Ministerpräsident die Gedanken seines jungen Parteifreundes gelesen, sagte er: »Wir wissen doch, dass solche Anschläge von Selbstmordattentätern durchgeführt werden, Philipp.«
» HP , lass uns da jetzt und hier nicht drüber streiten. Nur so viel: Keiner der großen Anschläge, ob London oder Madrid, war ein Selbstmordattentat. Selbst die Londoner Rucksackbomber hatten Rückfahrkarten und Ausweise dabei, und die Sprengsätze haben von unten die U-Bahn-Züge durchschlagen. Wenn sie sich selbst in die Luft gesprengt haben, dann aus Blödheit. Und einer der 9 / 11 -Piloten hat brav ein Parkticket hinter die Windschutzscheibe seines Autos gelegt, bevor er losgeflogen ist. Ich bitte dich: Warum sollte jemand, der vorhat, mit einem Passagierflieger in ein Hochhaus zu donnern, Angst vor einem Strafzettel haben? Ich verrate hier keine Geheimnisse. Das ist alles bestens dokumentiert. Nein, meine Herren, diese Männer haben ein politisches Ziel. Und sie haben darüber hinaus auch noch andere Ziele. Die werden sie uns verraten. Eine ihrer Forderungen wird aber sein: körperliche Unversehrtheit und freies Geleit. Darauf wette ich.«
Der Verteidigungsminister blickte noch zufriedener in die Runde. Selbstverständlich war niemand hier im Raum mit auch nur annähernd so guten Informationen ausgestattet wie er. Dass in Europa eine Terroraktion drohte, wussten die eingeweihten Kreise seit
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