Krieg der Ordnung
Ordnung anzusammeln. Freilich fürchte ich, dass sie genau dies tun werden, denn es wird nur wenig Weisheit von Generation zu Generation weitergegeben.« Die Ehrwürdige nickte den anderen zu und wandte sich an die Jüngste. »Du und er, ihr habt es gut gemacht.«
»Warum …« Dayala schluckte. »Er hat … er fühlt so viele Schmerzen.«
»Deshalb seid ihr verbunden.«
»Aber wie kann er hierher zurückkehren? Nach allem, was er getan hat?«
»Kind, er wird zu dir zurückkehren. Vertraue dem Gleichgewicht.«
»Dem Gleichgewicht vertrauen?« Dayala lachte und es war ein hartes, sprödes Lachen.
CLIII
J usten und Gunnar hatten sich einsilbig gegeben, nachdem sie sich aus den Decken befreit und den feuchten Schnee weggefegt hatten.
Justen trank kalten Saft und kaute die letzten Brotrinden mit etwas hartem gelben Käse. Seine Beine taten noch weh, aber das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos, das er mit Dayalas Hilfe geschaffen hatte, kam ihm auch selbst zugute und die Verletzungen heilten rasch ab.
»Was hast du mit den letzten Weißen gemacht? Mit denen, die du nicht mit deiner schrecklichen Licht-Waffe verbrannt hast?« Gunnar nahm den Krug von Justen entgegen und trank etwas Saft, wich aber den Blicken seines Bruders aus.
»Sie sind … sie sind im Chaos und in der Ordnung gefangen. Irgendwo unter Fairhaven.« Justen schauderte. Tod … hatten sie wirklich den Tod verdient? Vielleicht. Aber verdiente es irgendjemand, in einem Block aus Ordnung im Chaos eingeschlossen zu werden? Er konnte sich noch gut an ein Gesicht erinnern, ein Gesicht mit einer kleinen Narbe auf der Stirn, und an den Blick eines leidenden Engels. Er machte sich keine Illusionen, dass alle Weißen Magier böse und alle Schwarzen – oder Grauen – gut waren.
»Sie leben noch?«
»In gewisser Weise.«
»Können sie entkommen?«
»Ich weiß es nicht. Körperlich jedenfalls nicht.« Justen schauderte wieder. »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Vielleicht können sie … von einer unachtsamen Seele Besitz ergreifen.«
Gunnar lief es kalt den Rücken hinunter und er zog die Decke enger um sich. Eine zweite Decke, die ihn vor dem feuchten, braunen Gras schützte, diente ihm als Lager. Der Wetter-Magier richtete den Blick auf einen Haufen Hagelkörner, die noch von Schnee bedeckt waren, obwohl die Morgensonne schon einen Teil der unzeitgemäßen Schneedecke geschmolzen hatte. Immer noch wich Gunnar den Blicken seines Bruders aus. »Du hast Ordnung und Chaos ineinander verschränkt. Das hat noch niemand bisher getan. Schwarz und Weiß waren noch nie vereint, sondern immer getrennt. Es war echte Graue Magie.« Er starrte den Boden an.
»Das habe ich in Naclos gelernt.« Justen aß das Brot auf.
»Ich kann kaum noch die Winde berühren.« Endlich wandte Gunnar sich zu seinem Bruder um. »Was genau hast du eigentlich gemacht?«
»Ich habe ungefähr die Hälfte der Ordnung und des Chaos in der Welt zerstört, vielleicht sogar mehr. Deshalb waren die letzten Explosionen so heftig.«
»Justen, du hast gewusst, was passieren würde, nicht wahr?«
»Ja.«
»Aber warum hast du mir nichts gesagt? Auch mit den allerbesten Absichten lasse ich mich nicht gern täuschen, nicht einmal von meinem eigenen Bruder.« Gunnar schluckte.
»Aber …« Justen unterbrach sich, als er Gunnars Zorn und Ablehnung spürte. Hatte er sich nicht deutlich genug ausgedrückt?
Er blickte zum Tal, wo die Trümmer Fairhavens geschmolzen unter der Schneedecke lagen. Wie ein Wachsmodell unter heißer Sonne war die Stadt untergegangen. Wie viele Unschuldige lagen unter den glasähnlichen geschmolzenen Flächen, in den Ruinen und unter der Asche begraben? Wie viele steckten noch in den mit Hitze geordneten Trümmern? War das gerecht gewesen? Andererseits, was sonst hätte er tun können?
Die Menschen in Fairhaven hatten sich der Herrschaft des Chaos untergeordnet. Konnte das seine Taten rechtfertigen? Justen schüttelte den Kopf. Wer war denn zur Stelle gewesen, als Sarron in Schutt und Asche gelegt wurde? Als Berlitos niedergebrannt wurde? Als die Einwohner der Randbezirke von Armat bei lebendigem Leibe gekocht wurden?
Doch der Geschmack von Asche in seinem Mund ließ sich nicht vertreiben.
Wie lange würde es dauern, bis das Zerstörungswerk getilgt war, bis die weißen Narben, die in die Krume und das Skelett der Erde selbst geschnitten worden waren, wieder zuwachsen konnten? Wie lange, bis keine Schreie mehr zwischen den Felsen und den
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