'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
schon, für Tom war der Kosmos »Nana«: Häuser, Bäume, Autos, mein Handy, einfach alles »Nana«.
Nur Hunde nicht, die waren »Wau«. Ich habe keine Ahnung, warum dem so war. Seine Welt bestand aus einem Haufen »Nana« und Hunden. (Hilfe, mein Kind brabbelt Blödsinn, und richtig laufen kann es auchnoch nicht!) Manchmal wünschte ich mir, dass Tom das Sprechen so erlernt wie das Laufen. Ein falsches Wort und, patsch, fliegt er hin. Es wäre schneller gegangen.
Noch mehr wünschte ich mir allerdings, dass Tom besser einschläft. Das war (okay, und ist ) ein großes Problem. Eigentlich hätte er vom vielen Laufen- und Sprechen-Üben so müde sein müssen, dass er auf der Stelle die Augen zumacht. War aber nicht so.
(Ja, ich kenne die Fachliteratur, ›Jedes Kind kann schlafen lernen‹ und so weiter. Fazit: meins nicht.)
Vielleicht lag es daran, dass Tom beim Laufen nicht sprach und das dann abends nachholen musste. Er lag in seinem Bettchen, hielt seinen Stoffhund fest im Arm und erzählte ihm, wie der Tag gewesen war. Und ich musste auch zuhören, sonst gab es viel Geheule und »Nana«. Der Stoffhund war im Übrigen eindeutig ein »Wau«, trotzdem nannte Tom ihn »Nana!!!«. Also logisch war das alles nicht.
Wenn Tom stundenlang so dalag und brabbelte und nicht einschlafen wollte, wurde ich oft sehr sentimental und überlegte, wie ich all das Unheil der Welt von ihm abhalten könnte. Gerade Stofftiere betreffend. Ich hatte nämlich auch mal eins, den »Teddy-Freddy«, und obwohl er nur noch ein Ohr und keine Augen mehr hatte, war er mein liebstes Tier. Wenn man dem Stoffbären auf den Bauch drückte, brummte er, und das vertrieb die bösen Träume. Teddy-Freddyhatte ich von meinem Opa bekommen. Als Entschädigung. Der Opa hatte mich einmal mit ins Kino genommen, in ›Bambi‹, und auf dem Rückweg ein Reh totgefahren.
Irgendwann brummte Teddy-Freddy dann nicht mehr.
»Er hat bloß Bauchweh«, sagte mein Opa, aber nach der Cola-Therapie und der nötig gewordenen Operation sah Teddy nicht mehr gut aus. Opa sammelte die Holzwolle ein und sagte, er werde das schon wieder hinkriegen. Ich sah Teddy-Freddy nie wieder.
Jedes Mal entsann ich mich dieser Geschichte und dachte, dass ich auf den Stoffhund gut aufpassen muss und dass man ohnehin nicht vorsichtig genug sein kann, dachte ich mir, und dass der heutige Filmtrash auch sein Gutes hat, weil man Pokemons nicht überfahren kann.
Wie ich so vor mich hin dachte, war es meistens weit nach Mitternacht, und ich verließ auf Zehenspitzen Toms Zimmer. Durch die Tür hörte ich dann ein leises, aber bestimmtes »Nana« – und bis heute frage ich mich, mit wie vielen Ausrufezeichen das jetzt gemeint war.
Trinken
Weil ich ohnehin schon dabei bin, in Erinnerungen zu versinken, fällt mir ein, dass »Sprechen«, »Laufen« und »Schlafen« seinerzeit nicht die einzigen Themen waren, die rege diskutiert wurden, sondern auch »Essen« und »Trinken«. Vor allem Letzteres.
Wenn junge Eltern zusammensitzen, trinken sie – und reden darüber. Bisweilen fühlte sich das Zusammensein im Bekanntenkreis an wie ein Angehörigentreff der Anonymen Alkoholiker.
»Chris ist endlich trocken« war ein Satz, der beispielsweise gerne gesagt wurde, stolz, aber auch beiläufig, im Wissen, dass ihn die anderen nur zu gut verstanden, schließlich entstammte man demselben Milieu. Jeder wusste, dass damit die Probleme noch lange nicht gelöst waren.
Es klang, als sagte man ein Wondratschek-Poem auf: »Früher begann der Tag mit einer Schußwunde.«
»Chris ist jetzt trocken. Ich musste einfach was machen, sonst hätte ich das nicht mehr ausgehalten.«
Die anderen nickten und wussten: In der ersten Zeit wird es noch Rückfälle geben, ab und an, einmal im Quartal oder so.
»Er hat aber einfach auch zu viel getrunken – vor allem abends«, hieß es dann, »damit ist jetzt Schluss!«
»Ja, ja und dann immer diese Sauerei, das kann einen kaputt machen, weißte das?«
»Oh ja, und die Leute fangen an zu reden. Nein, lieber hart durchgreifen, bevor es zu spät ist.«
Schlimme Bilder tauchten auf, Bilder von zerrütteten Familien, fertigen Männern, heulenden Frauen, einem Leben im gesellschaftlichen Abseits.
»Und mit Toleranz kommste da nicht weit, hör mir auf mit dem ganzen Ratgeber- und Therapiekram, das musst du durchziehen, das musst du wollen!«
»Genau. Ich hab das meinem auch gesagt: Ab heute hört das auf, Schluss, Ende, Amen. Und als er dann doch noch mal ... na, du weißt
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