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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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rissen, nicht imstande, ihn totzuschlagen. Die Menge drängte von allen Seiten, schwankte mit ihnen nach der Mitte von einer Seite zur anderen und ließ ihnen keine Möglichkeit, ihn totzuschlagen oder niederzuwerfen.
    »Mit dem Beil! Mit dem Beil! Der Verräter hat Christus verkauft und muß seinen Lohn haben! Mit dem Beil, aber rasch!«
    Erst als der Unglückliche aufhörte, sich zu verteidigen, und sein Geschrei in ein gleichmäßiges, gedehntes Stöhnen übergegangen war, trat die Menge von der auf dem Boden liegenden blutigen Gestalt zurück. Jeder trat näher, betrachtete, was geschehen war, und drängte sich mit vorwurfsvoller Verwunderung und Entsetzen zurück.
    »O Gott, was ist das Volk für ein wildes Tier!« hörte man in der Menge. »Und so ein junger Mensch! Wahrscheinlich ein Kaufmann! O Himmel, und der andere ist auch beinahe totgeschlagen! Ach, was für ein Volk! ... Fürchtet keine Sünde!« sagten jetzt dieselben Leute, indem sie mit entrüsteten Mienen auf den Toten hinabsahen.
    Auf den Befehl eines diensteifrigen Polizeibeamten, welcher die Anwesenheit eines Leichnams auf dem Hof seiner Erlaucht nicht schicklich fand, zogen die Dragoner den entsetzlich entstellten Leichnam auf die Straße hinaus. Der blutige, mit Staub bedeckte, halbrasierte Kopf auf dem langen Hals schlug auf dem unebenen Fußboden auf. Das Volk zog sich scheu zurück von der Leiche.
    Als Wereschtschagin niederstürzte, und die Menge mit wildem Geheul über ihn herfiel, sich drängte und schwankte, erbleichte Rostoptschin plötzlich, und anstatt zur Hintertür zu gehen, wo ihn sein Wagen erwartete, ging er, ohne zu wissen warum und wohin, mit gesenktem Kopf und raschen Schritten über den Korridor, der in die Zimmer der unteren Etage führte. Das Gesicht des Grafen war bleich, und seine Kinnlade zitterte wie im Fieber.
    »Ihre Erlaucht, hierher! Wohin gehen Sie?« sagte hinter ihm eine zitternde Stimme. Rostoptschin war nicht imstande, eine Antwort zu geben, wandte sich gehorsam um und ging nach der Richtung, die man ihm andeutete. An der Hintertreppe stand der Wagen. Das ferne Geheul der Menge hörte man auch hier noch. Graf Rostoptschin setzte sich eilig in die Kutsche und befahl, nach seinem Landhaus vor der Stadt in Sokolniki zu fahren. Als er durch die Mjäsnizkajastraße fuhr und das Geschrei nicht mehr hörte, befiel ihn Reue.
    »Eine Volksmenge ist schrecklich und widerlich!« dachte er. »Wie die Wölfe kann man sie mit nichts befriedigen, außer mit Fleisch!« – »Graf, nur Gott ist über uns!« fielen ihm plötzlich die Worte Wereschtschagins ein und ein unangenehmer Frost überfiel seinen Rücken. Aber das war vorübergehend, und Graf Rostoptschin lächelte verächtlich über sich selbst. »Ich habe andere Pflichten«, dachte er, »noch viel größere Opfer müßten dem allgemeinen Wohl gebracht werden! Wereschtschagin war ein Verräter und durfte nicht ungestraft bleiben, und so habe ich mit einem Schlag zwei Fliegen getroffen, ich habe dem Volk ein Opfer zur Beruhigung gegeben und einen Bösewicht bestraft.«
    Als er in seinem Hause angekommen war und verschiedene häusliche Anordnungen traf, hatte er sich vollkommen beruhigt. Nach einer halben Stunde fuhr er in raschem Lauf über das Feld von Sokolniki und erinnerte sich nicht mehr an das Geschehene, sondern dachte nur an das, was kommen werde. Jetzt fuhr er an die Jaussche Brücke, wo, wie man ihm sagte, Kutusow war. Er bereitete diejenigen zornigen und scharfen Vorwürfe vor, welche er Kutusow für seine Enttäuschung sagen wollte. Das Feld von Sokolniki war ganz verödet und am Ende desselben, wo »das gelbe Haus« stand, wie das Irrenhaus vom Volk genannt wurde, sah man verschiedene Gestalten in weißen Hemden und einige solche Leute, welche allein, schreiend und mit wilden Gebärden über das Feld liefen. Einer derselben kam auf die Kutsche des Grafen Rostoptschin zu. Der Graf, der Kutscher und die Dragoner blickten mit Entsetzen und Neugierde nach diesen freigelassenen Wahnsinnigen und besonders nach dem, der ihnen entgegengelaufen kam. Auf seinen dünnen, hageren Beinen schwankend, in einem weißen, flatternden Schlafrock lief der Wahnsinnige Rostoptschin entgegen und schrie ihm mit heiserer Stimme zu, er solle halten.
    »Halt! sage ich!« schrie er mit heftigen Gebärden. Als er den Wagen erreicht hatte, lief er neben ihm her. »Dreimal hat man mich totgeschlagen und dreimal bin ich von den Toten auferstanden, sie haben mich mit Steinen erschlagen, ich

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