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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Fräulein!«
    In demselben Augenblick klopfte es an der Tür. Ein Mädchen war von der Gräfin abgesandt worden, um ihre Tochter zu suchen.
    Wie eine Nachtwandlerin, welche plötzlich aufgeweckt worden war, verließ Natalie das Zimmer und fiel in ihrer Hütte weinend auf ihr Lager nieder. Von dieser Zeit an während der ganzen ferneren Fahrt eilte Natalie auf allen Halteplätzen an das Lager Bolkonskys, und der Doktor mußte gestehen, daß er von einem Mädchen weder so viel Festigkeit noch solche Geschicklichkeit in der Behandlung eines Verwundeten erwartet hätte.
    Wie schrecklich auch der Gräfin der Gedanke war, daß Fürst Andree, wie der Doktor für wahrscheinlich hielt, noch unterwegs unter den Händen ihrer Tochter sterben könne, so vermochte sie es doch nicht, Natalie darin zu stören. Obgleich während der jetzt eingetretenen Annäherung zwischen dem Verwundeten und Natalie der Gedanke nahe lag, daß im Fall der Genesung die früheren Beziehungen von Braut und Bräutigam sich erneuern konnten, sprach doch niemand davon, und am wenigsten Natalie oder Fürst Andree. Die noch ungelöste Frage nach Leben oder Tod, nicht nur für Fürst Andree, sondern für ganz Rußland, schob alle anderen beiseite.

204
    Peter erwachte am 5. September spät am Morgen. Sein Kopf schmerzte, die Kleider, in denen er geschlafen hatte, waren ihm unbequem, und innerlich fühlte er ein unbestimmtes Bewußtsein von etwas Beschämendem, was er am Tage vorher begangen hatte. Dieses Beschämende war das gestrige Gespräch mit dem Kapitän Ramballes. Die Uhr zeigte elf, und draußen war es besonders trübe. Peter stand auf, und als er die Pistole erblickte, welche Gerasim wieder auf den Schreibtisch gelegt hatte, erinnerte er sich, wo er sich befand und was ihm am heutigen Tage bevorstand.
    »Habe ich mich nicht etwa verspätet?« dachte Peter.
    »Nein, wahrscheinlich wird er seinen Einzug in Moskau nicht früher als um zwölf Uhr halten.« Er erlaubte sich nicht mehr, über sein Vorhaben nachzudenken, und beeilte sich, nur möglichst rasch zu handeln.
    Nachdem er seinen Anzug in Ordnung gebracht hatte, nahm er die Pistole in die Hand und wandte sich zum Gehen. Jetzt kam ihm zum erstenmal der Gedanke, daß er die Pistole doch nicht in der Hand über die Straße tragen könne, selbst unter seinem weiten Kaftan war die große Pistole schwer zu verbergen, auch im Gürtel und unter dem Arme konnte man sie nicht unbemerkt unterbringen. Außerdem war die Pistole abgeschossen, und Peter verstand nicht, sie zu laden.
    »Nun, gleichviel, dann also den Dolch!« sagte Peter, obgleich er früher der Meinung gewesen, daß es ein großer Mißgriff des Studenten war, der im Jahre 1809 Napoleon töten wollte, hierfür den Dolch gewählt zu haben. Er nahm hastig den stumpfen Dolch und verbarg ihn unter der Weste, dann umgürtete er den Kaftan, setzte die Mütze auf und ging geräuschlos, um den Kapitän nicht zu stören, auf die Straße hinaus.
    Während der Nacht hatte sich die Feuersbrunst, die er am Abend zuvor so gleichgültig angesehen hatte, bedeutend vergrößert. Moskau brannte schon an verschiedenen Stellen. An den meisten Häusern waren die Türen verschlossen, die Straßen und Gäßchen waren verödet und die Luft mit Brandgeruch erfüllt. Die wenigen ihm begegnenden Russen und Franzosen blickten Peter verwundert an. Die große, dicke Gestalt mit dem seltsamen, finsteren und leidenden Gesichtsausdruck fiel auf, selbst die Russen vermochten nicht zu erkennen, zu welchem Stande dieser Mensch gehörte. Die Franzosen sahen ihm verwundert nach, weil Peter nicht, wie andere Russen, die Franzosen ängstlich und neugierig ansah, sondern gar nicht auf sie achtete. An der Tür eines Hauses wurde Peter von drei Franzosen angehalten, welche ihn fragten, ob er nicht Französisch verstehe. Peter schüttelte verneinend mit dem Kopf und ging weiter. Er hörte und sah nichts, was um ihn vorging. Indessen auch, wenn er durch nichts unterwegs aufgehalten worden wäre, hätte er doch seinen Plan nicht ausführen können, weil Napoleon schon vor mehr als vier Stunden in den Kreml eingezogen war und dort in der düstersten Stimmung in den kaiserlichen Gemächern saß und ausführliche Befehle gab zur Unterdrückung der Feuersbrunst und zur Beruhigung der Einwohner. Aber Peter wußte nichts davon und war ganz versunken in die Gedanken an das Bevorstehende. Er quälte sich, wie jemand, der etwas Ungewöhnliches unternimmt, mit der Furcht, daß er im entscheidenden

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