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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hinaus, und die Gräfin sah, daß sie heftig weinte.
    »Lege dich schlafen, mein Juwel. Nun – komm!« Dabei berührte sie leicht die Schulter Natalies.
    »Ach ja, ich komme gleich«, sagte Natalie und begann sich hastig zu entkleiden. Als ihr Nachtkostüm fertig war, legte sie sich leise auf das Lager nieder, das auf dem Fußboden bereitet war. Auch die Gräfin, Madame Chausse und Sonja legten sich schlafen. Bald vernahm Natalie das gleichmäßige Atmen ihrer Mutter und rührte sich nicht, obgleich Sonja sie anrief. Endlich krähte in der Ferne der Hahn, der Lärm in der Schenke und die geheimnisvollen Laute der Nacht waren schon verstummt. Man hörte nur das Stöhnen des Adjutanten. Natalie erhob sich.
    »Sonja, schläfst du? Mama!« flüsterte sie, aber niemand antwortete. Sie erhob sich langsam und vorsichtig, bekreuzigte sich und schlich nach der Tür. Sie glaubte schwere, gleichmäßige Schläge an allen Wänden der Hütte zu vernehmen, aber das war nur ihr Herz, das, von Schrecken und Liebe aufgeregt, so heftig schlug. Sie öffnete die Tür, die kühle Nachtluft umfing sie, barfuß stieg sie über einen schlafenden Diener weg und öffnete die Tür zu der Hütte, in der Fürst Andree lag.
    In der Hütte war es dunkel. In der hintersten Ecke beim Bett, auf welchem eine Gestalt lag, stand auf einer Bank eine trüb brennende Kerze.
    Natalie hatte schon am Morgen, als sie die Anwesenheit des Fürsten Andree erfuhr, sich vorgenommen, ihn jedenfalls zu sehen. Sie wußte nicht warum, sie wußte nur, daß dieses Wiedersehen peinlich sein werde, und um so mehr war sie überzeugt, daß es unumgänglich nötig sei. Den ganzen Tag hatte sie nur in der Hoffnung gelebt, ihn am Abend zu sehen, jetzt aber, wo der Augenblick gekommen war, dachte sie mit Bangen an das, was sie sehen werde, und blieb angstvoll stehen. Aber eine unwiderstehliche Gewalt trieb sie weiter. Vorsichtig machte sie einen Schritt und dann noch einen. Unter dem Heiligenbild lag auf einer Bank noch ein Mensch, das war Timochin, und auf dem Fußboden noch zwei Leute, der Arzt und der Kammerdiener.
    Der Kammerdiener erhob sich und flüsterte etwas. Timochin, welchen der Schmerz an seinem verwundeten Bein nicht schlafen ließ, blickte erstaunt nach der Erscheinung eines Mädchens im weißen Hemd, Jacke und Nachthäubchen. Die Frage des verschlafenen Kammerdieners: »Was wollen Sie?« veranlaßte Natalie nur, rasch an ihm vorüberzugehen, und bald erblickte sie deutlich die Gestalt des Fürsten Andree, dessen Hände auf der Decke lagen.
    Er sah aus wie immer, aber die glänzenden Augen, welche entzückt nach ihr blickten, und besonders der zarte, weibliche Hals, der aus dem zurückgeschlagenen Hemdkragen hervorsah, gaben ihm ein kindliches Aussehen, das sie noch nie an ihm gesehen hatte. Sie ging zu ihm und ließ sich hastig auf die Knie nieder. Dann lächelte sie und streckte ihm eine Hand entgegen.

203
    Sieben Tage waren vergangen, seit Fürst Andree auf dem Verbandplatz bei Borodino erwacht war. Fast die ganze Zeit über hatte er sich im Zustand der Bewußtlosigkeit befunden. Aber am siebenten Tag aß er mit Vergnügen ein Stück Brot mit Tee, und der Arzt bemerkte, daß die Fieberhitze sich vermindert hatte. Am Morgen war der Verwundete zur Besinnung gekommen. Die erste Nacht nach der Abfahrt von Moskau war ziemlich warm, und Fürst Andree hatte sie in der Kutsche zugebracht, aber in Mitschitschi verlangte der Verwundete selbst, daß man ihn in ein Haus lege und ihm Tee bringe. Als er in die Hütte getragen wurde stöhnte er vor Schmerz, verlor wieder das Bewußtsein und lag darauf längere Zeit mit geschlossenen Augen regungslos auf dem Feldbett. Dann öffnete er die Augen und verlangte nach Tee. Der Arzt befühlte den Puls und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß er stärker schlug. Er bemerkte das mit Bedauern, da er durch die Erfahrung überzeugt war, daß Fürst Andree nicht am Leben bleiben könne, und entweder jetzt oder nur nach großen Leiden einige Zeit später sterben werde. Mit Fürst Andree wurde auch der Major Timochin von seinem Regiment, welcher am Fuß verwundet war, weiter transportiert. Mit ihnen fuhren der Arzt, der Kammerdiener des Fürsten, sein Kutscher und zwei Offiziersburschen. Fürst Andree fragte nach einem Neuen Testament, das ihm der Arzt zu verschaffen versprach.
    Jetzt erst begriff Fürst Andree, wo er war, und was mit ihm vorgegangen war. Er befand sich nicht in normalem Geisteszustand. Ein gesunder Mensch denkt

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