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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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was für ein Schatz ist deine Frau! Sie ist noch ein ganzes Kind, ein niedliches, fröhliches Kind, ich liebe sie sehr!«
    Fürst Andree schwieg, aber Marie bemerkte den ironischen, verächtlichen Ausdruck, der sich auf seinem Gesicht verbreitete.
    »Aber man muß mit kleinen Schwachheiten Nachsicht haben, Andree! Vergiß nicht, daß sie in der Welt aufgewachsen ist und ihre jetzige Lage ist auch nicht rosig. Wer alles begreift, vergibt alles. Bedenke, wie schwer es für die Arme sein wird, nach dem Leben, an das sie gewöhnt ist, sich von ihrem Mann zu trennen und allein auf dem Lande zurückzubleiben! Das ist sehr schwer!«
    Fürst Andree lächelte, indem er die Schwester anblickte, wie man lächelt, wenn man Leute anhört, die man ganz zu durchschauen glaubt. »Du lebst ja auch auf dem Lande!«
    »Ich – das ist etwas anderes! Ich wünsche mir kein anderes Leben. Aber bedenke, für eine junge Weltdame, sich in den schönsten Lebensjahren in der Einsamkeit zu vergraben, denn Papa ist immer beschäftigt, und ich, wie du weißt, bin nicht heiter genug für eine Frau, welche an die beste Gesellschaft gewöhnt ist. Nur Fräulein Bourienne ...«
    »Sie mißfällt mir sehr, eure Bourienne«, sagte Fürst Andree.
    »O nein, sie ist sehr lieb und gut und ein bedauernswertes Mädchen, sie hat niemand auf der Welt. Aber ich gestehe, ihre Gesellschaft ist mir nicht nur überflüssig, sondern oft drückend. Du weißt, ich war immer menschenscheu, ich liebe allein zu sein. Papa liebt sie sehr, gegen sie und den Architekten ist er immer freundlich und gut. Papa nahm sie als Waise von der Straße. Er liebt ihre Art, vorzulesen, sie liest ihm abends laut vor.«
    »Nun gestehe, Marie, du leidest zuweilen unter den Eigentümlichkeiten von Papas Charakter?« fragte plötzlich Fürst Andree.
    »Ich?« fragte sie verwundert und erschrocken.
    »Er war immer schroff, jetzt aber ist es noch schwerer, mit ihm umzugehen, glaube ich.«
    »Du bist gut, Andree, aber du hast einen gewissen Stolz«, erwiderte Marie, welche mehr dem Gang seiner Gedanken als dem des Gespräches folgte, »und das ist eine große Sünde. Darf man wohl über den Vater urteilen? Und ich bin so zufrieden und glücklich bei ihm, ich wünschte nur, daß alle so glücklich wären wie ich.«
    Andree schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Nur eins macht mir Kummer, seine Ansichten über die Religion. In letzter Zeit aber ist sein Spott weniger beißend, und er hat sogar einmal lange mit einem Mönch gesprochen. Aber höre, Andree, ich habe eine große Bitte an dich, versprich mir, daß du sie mir nicht abschlägst!« Sie steckte die Hand in die Tasche und ergriff dort etwas, was sie aber noch nicht zeigte. Sie sah ihren Bruder mit bittenden Blicken schüchtern an.
    »Um was handelt es sich?«
    »Denke, was du willst, aber tue, um was ich dich bitte! Hier, dieses Bild hat der Vater unseres Vaters, unser Großvater, in allen Kriegen getragen; Andree, versprich mir, daß du es tragen und niemals abnehmen wirst!«
    »Wenn es mir nicht zentnerschwer am Halse hängt, meinetwegen, so will ich dir das Vergnügen machen«, sagte Fürst Andree, bereute aber sogleich die Worte, als er die beleidigte Miene seiner Schwester bemerkte. »Ich bin sehr erfreut, wirklich«, fügte er hinzu.
    »Gegen deinen Willen wird er dich erretten und dich ihm zuwenden, denn nur bei ihm ist Wahrheit und Zufriedenheit«, sagte sie mit vor Erregung zitternder Stimme. Mit feierlicher Gebärde erhob sie in beiden Händen vor ihrem Bruder ein ovales Bild des Erlösers in silbernem Rahmen und an einer silbernen Kette. Sie bekreuzigte sich, küßte das Bild und reichte es Andree.
    »Nimm es, Andree, und trage es mir zuliebe!«
    Er wollte das Amulett ergreifen, aber sie unterbrach ihn. Andree begriff, bekreuzigte sich und küßte das kleine Bild. Auf seiner Miene zeigte sich ein Gemisch von Rührung und Spott.
    »Ich danke dir, Bruder.« Sie küßte ihn auf die Stirn und setzte sich wieder auf den Diwan. Beide schwiegen.
    »Denke daran, Andree, was ich dir gesagt habe, sei großmütig und urteile nicht streng über Lisa.«
    »Ich glaube, ich habe mit keinem Wort angedeutet, daß ich mit ihr unzufrieden sei. Wie kommst du darauf?«
    Marie errötete und schwieg.
    »Dann hat man dir etwas der Art gesagt«, bemerkte er.
    Marie errötete, und ihr Bruder erriet, daß seine Frau nach Tisch geweint, ihr ihre Befürchtungen mitgeteilt und sich über das Schicksal und über ihn beklagt hatte.
    »Ich muß dir sagen, Marie,

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