Krieg und Frieden
Glückes erreicht hat. Sobald er die Augen schloß, ertönte in seinem Ohr Gewehrfeuer und Kanonendonner. Er erinnerte sich nochmals an alle Einzelheiten des Sieges und seinen kaltblütigen Mut während der Schlacht, und endlich schlummerte er ein. Nach der dunklen Sternennacht brach ein heller, heiterer Morgen an. Der Schnee schmolz in der Sonne. Die Pferde liefen rasch dahin durch dichte Wälder.
Es dunkelte, als Fürst Andree in Brünn eintraf. In den Straßen mit hohen Häusern und hell erleuchteten Läden empfand er jene Atmosphäre einer großen, volkreichen Stadt, welche für den Krieger nach dem Lagerleben immer so verführerisch ist. Ungeachtet der raschen Fahrt und der schlaflosen Nacht fühlte sich Fürst Andree, als er am Schlosse vorfuhr, noch frischer als am vorhergehenden Abend. Nur seine Augen glänzten fieberhaft und seine Gedanken folgten sich mit außerordentlicher Schnelligkeit und Deutlichkeit. Er stellte sich vor, welche Fragen Kaiser Franz an ihn richten und was er antworten werde. Er glaubte, man werde ihn sogleich dem Kaiser vorstellen, aber bei dem großen Einfahrtstor des Schlosses kam ein Beamter ihm entgegen, und als er in ihm einen Kurier erkannte, führte er ihn zu einem anderen Eingang.
»Dort in der Tür rechts finden Sie den Flügeladjutanten«, sagte ihm der Beamte, »er wird Sie zum Kriegsminister begleiten.«
Der Flügeladjutant bat ihn, etwas zu warten, und ging zum Kriegsminister. Nach fünf Minuten kam er zurück und führte den Fürsten Andree mit besonderer Höflichkeit durch den Korridor in ein Kabinett, wo der Kriegsminister arbeitete. Die freudige Erwartung des Fürsten Andree wurde bedeutend gedämpft, als er das Kabinett des Kriegsministers betrat. Er fühlte sich beleidigt, und dieses Gefühl steigerte sich, als der Kriegsminister, an einem großen Tisch sitzend, zwei Minuten lang den Eintretenden unbeachtet stehen ließ. Er las ein Papier und machte dabei Bemerkungen mit einem Bleistift.
»Nehmen Sie das und geben Sie es ab«, sagte der Kriegsminister zu seinem Adjutanten, indem er ihm das Papier reichte, aber noch immer beachtete er den Kurier nicht.
Fürst Andree schloß aus diesem Benehmen, daß die Tätigkeit von Kutusows Armee den Kriegsminister weniger als alles übrige interessierte, und daß er für nötig fand, den russischen Kurier dies fühlen zu lassen.
»Aber das ist mir ganz gleichgültig«, dachte er.
Der Kriegsminister schob die übrigen Papiere zusammen und hob den Kopf auf. Er hatte ein kluges, charaktervolles Gesicht.
»Vom Generalfeldmarschall Kutusow?« fragte er. »Gute Nachrichten, wie ich hoffe?«
»Es hat ein Zusammenstoß mit Mortier stattgefunden.«
»War er siegreich? Es wäre Zeit!« Er ergriff die Depesche, die an ihn gerichtet war, und las sie mit kummervoller Miene.
»Ach, mein Gott! Mein Gott! Schmidt!« sagte er auf deutsch. »Welches Unglück!« Nachdem er die Depesche gelesen hatte, legte er sie auf den Tisch und blickte Fürst Andree gedankenvoll an.
»Ach, welches Unglück. Die Sache war entscheidend, sagen Sie? Aber Mortier ist nicht gefangengenommen worden? – Nun, ich bin sehr erfreut, daß Sie gute Nachrichten brachten, obgleich der Sieg durch den Tod Schmidts teuer erkauft ist. Seine Majestät wird Sie wahrscheinlich zu sehen wünschen, aber nicht heute. Ich danke Ihnen. Erholen Sie sich! Seien Sie morgen beim Eingang nach der Parade! Übrigens werde ich Ihnen Nachricht geben. Auf Wiedersehen! Ich danke Ihnen sehr.«
Fürst Andree verließ das Schloß mit dem Gefühl, als ob alles Interesse und Glück, das ihm der Sieg verliehen hatte, jetzt in den gleichgültigen Händen des Kriegsministers und bei dem höflichen Adjutanten zurückgeblieben sei. Seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Das Gefecht erschien ihm wie eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit.
32
Fürst Andree wohnte in Brünn bei dem russischen Diplomaten Bilibin, mit dem er befreundet war. Am andern Morgen erwachte er spät und rief sich die Eindrücke der Vergangenheit zurück. Er erinnerte sich vor allem, daß er sich heute dem Kaiser Franz vorstellen sollte, dann dachte er an den Kriegsminister und den höflichen, österreichischen Flügeladjutanten. Nachdem er sich zur Audienz seine Paradeuniform angelegt hatte, die er schon seit langer Zeit nicht mehr getragen hatte, begab er sich frisch und heiter mit verbundenem Arm in das Kabinett Bilibins. Dort befanden sich vier Herren vom diplomatischen Korps mit dem Fürsten Hippolyt Kuragin,
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