Krieger der Stille
Vipern – wie lächerlich doch diese berühmte autopsychische Selbstverteidigung ist, auf die die Syracuser so stolz sind!
Zwar findet der Herrscher seine Untertanen anmaßend, dumm und eitel, doch er verbirgt seinerseits seine Verachtung hinter einem süßlichen Lächeln. So funktioniert das Ego, denkt Harkot. Man legt innerhalb der Gesellschaft bestimmte Verhaltensweisen an den Tag, damit man maximal von ihnen profitieren kann.
Er hat ebenfalls Gelegenheit, Zeuge des wöchentlich stattfindenden Höflichkeitsbesuchs des Muffis zu sein, des Unfehlbaren Hirten der Kirche des Kreuzes. Die dreifache Persönlichkeit dieses Greises fasziniert ihn: sein schmales kantiges, in die Haube des weißen Colancors eingezwängtes Gesicht strahlt pure Scheinheiligkeit aus. Barrofill XXIV. weiß genau, dass sowohl Menati Ang als auch Pamynx ihn und seine Kirche mit ihren hierarchischen Strukturen brauchen, um diese furchtbare Tyrannei auszuüben. Und deswegen ist der Muffi eine Schlüsselfigur auf dem Schachbrett Menati Angs. Aber da der Geistliche keine Skrupel kennt, ist er nicht zimperlich, wenn er sein Ziel erreichen will – ein Ziel sehr persönlicher Natur. Dieses mit diplomatischem Geschick begabte Monster kultiviert die Kunst höfischer Etikette bis zur Perfektion, hüllt sich in den schützenden Mantel der Heiligkeit und legt bereits jetzt den Grundstein für seine Heiligsprechung, während er sich gleichzeitig den widerwärtigsten Ausschweifungen hingibt. Harkot bewundert die Virtuosität dieses Mannes, andere zu täuschen. Sogar Pamynx. Diese theatralische Bescheidenheit, diese Fistelstimme, dieser asketische Körper, diese kleinen dunklen und funkelnden Augen,
diese sorgsam inszenierte Zurschaustellung, nichts anderes als das Wohl der Kirche im Sinn zu haben, das umgibt ihn wie ein Priestergewand – nur Schein, nicht Sein. Denn in der Nachwelt will er fortleben, das ist sein Ziel. Antrieb seines Handelns aber ist die Gier nach Macht und nach Befriedigung seiner Lüste …
Die ganze Woche nach jenem lehrreichen Abend zwang sich Harkot, der Experte und mentale Terminator, alle mentalen Mitteilungen zwischen Pamynx und dessen verschiedenen Informanten abzuhören. Auf diese Weise erfuhr er sehr interessante Dinge, unter anderem, dass Menati Ang und der Konnetabel ein Komplott gegen den Muffi schmiedeten. Sie hatten beschlossen, den unnachgiebigen Barrofill XXIV. zu eliminieren und ihn durch einen willfährigeren Kardinal zu ersetzen, eine Marionette, die sie nach Belieben manipulieren konnten. Sie hatten bereits insgeheim Kontakt zu mehreren Kardinälen aufgenommen, sie durch Bestechung gewonnen und sich ihrer Unterstützung während der zu erwartenden Turbulenzen nach dem Ableben des Kirchenfürsten versichert. Sie hatten ebenfalls beschlossen, dass Pamynx den Gedankenschützern des Unfehlbaren Hirten befehle, ihren Eid zu brechen und dass ein Scaythe den Muffi in seinen Gemächern in den Tod befördern solle. Sein plötzliches Ableben werde man durch eine plötzliche tödliche Krankheit – wie schon bei Ranti Ang – erklären. Und natürlich werde man Harkot, den Experten, mit dieser Drecksarbeit beauftragen.
Aber Harkot hatte sofort begriffen, welchen Vorteil er aus dieser Situation ziehen konnte. Ohne auf Pamynx’ Vorladung zu warten, war er sofort zum bischöflichen Palast
geeilt, zu Fuß und über verschlungene Gassen, ein purpurfarbener Schatten in der von drei nächtlichen Gestirnen erhellten Nacht.
Seine Schwierigkeiten hatten vor dem Portal des Palastes begonnen. Es wurde von den ganz in Schwarz gekleideten Vikaren bewacht, den Fundamentalisten der Kirche des Kreuzes.
Die erste Bedingung zur Aufnahme in dieses Elitecorps bestand darin, dass sich der Aspirant freiwillig während einer feierlichen Zeremonie kastrieren ließ. Seine Sexualorgane wurden hinterher in eine Luftkugel eingeschlossen und in einem Saal, die Gruft der Kastrierten genannt, ausgestellt. Um die Vikare lächerlich zu machen, nannten die anderen Mitglieder der Geistlichkeit sie die Eunuchen des Großen Schafstalls, aber sie fürchteten sie wie die atomare Pest, denn die Vikare gehörten zum inneren Zirkel des Muffis und nahmen eine bedeutende Stellung innerhalb der Kirchenhierarchie ein.
Harkot war zuerst von einem jungen Vikar mit blaurotem Gesicht und starrem Blick empfangen worden, der ihn mit stupiden Fragen bombardiert und stundenlang in einem düsteren Wartezimmer hatte schmoren lassen. Schließlich war ein anderer
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