Kriegsgebiete
Kunststoff. In seiner Jugend war Baumwolle noch das
Hautfreundlichste, jetzt hatten sie den Kunststoff so weit, dass der
Körper besser damit leben konnte. In Rekordgeschwindigkeit zog
sich Daniel um. Dabei vermied er es so krampfhaft, auf die Überreste
des Bettes zu schauen, dass er erst recht unentwegt an das Bett
denken musste.
Daniel
ging in Leas Zimmer. Es war vollkommen leer, bis auf einen Käfig
in der Mitte des Zimmers. Durch die Gitterstäbe hindurch glotzte
ihn Bonaparte an. Ein geflecktes Kaninchen, das sofort zu fressen
begann, nachdem Daniel die Kleintiernahrung nachgefüllt hatte.
Nach der Fütterung hatte Bonaparte kein Interesse mehr an ihm.
Daniel verstand nicht, warum die meisten Menschen Felltiere putzig
fanden und Hausschweine nicht, obwohl die intelligenter waren.
Vielleicht lag es gerade am Intelligenzmangel. Schweine waren den
Menschen einfach zu ähnlich, um putzig zu sein.
Zurück
in der Küche wuchtete Daniel seinen Laufrucksack auf die
Arbeitsplatte. Massivholz. Er ging vor der Küchenzeile in die
Knie und schlüpfte mit den Armen durch die Rucksackgurte. Beim
Aufstehen atmete er keuchend aus. Der Rucksack wehrte sich wie
gewöhnlich. Genauer gesagt, sein Inhalt. Die beim Anlegen der
Auffahrt und der Gartenwege übrig gebliebenen Granitsteine
gingen mit den Gesetzen der Schwerkraft eine mächtige Allianz
ein. Daniel zog die Schlaufen fest. Der Rucksack musste möglichst
eng am Körper anliegen. Bis das Gewicht eins geworden war mit
ihm. Steine hatten eine Zeit lang in der Beziehung zwischen Melanie
und Daniel eine durchaus gewichtige Rolle gespielt. Die
Anordnung des Pflasters in der Auffahrt sah gefällig chaotisch
aus. Als hätten sich die Steine mit ihrem unterschiedlichen
Farbspiel aus freien Stücken zu etwas Dekorativem
zusammengefügt. In Wirklichkeit hatte Melanie drei Abende damit
verbracht, einen genauen Plan zu zeichnen, nach dem sich die
Pflasterer richten mussten. Sogar die Regenpfützen schienen eine
gewisse Ordnung zu haben. Wie immer, wenn er vor der von Melanie
konzipierten Auffahrt stand, empfand Daniel das demütigende
Gefühl, in seinem Leben nichts erreicht zu haben. Gute
Besserung, dachte er und rannte los. Der Regen legte eine
Pause ein, aber es roch überall nach ihm und der Asphalt war
noch feucht.
Schritte
gleichmäßig. Atmung gleichmäßig.
Hinaus
aus der Straße mit den weihevoll vor den Häusern
platzierten braunen Mülltonnen. Ich darf nicht vergessen, die
Bio-Mülltonne rauszustellen, dachte Daniel. Hinaus aus dem
Neubauviertel. Hinein in die Landschaft. Der Asphalt ging in einen
Schotterweg über. Auf den ersten zweihundert Metern musste man
noch aufpassen, dass man nicht vom Weg abkam, weil überall im
Gras Hundekot auf den menschlichen Fuß lauerte. Den Kot kriegt
man aus dem Profil der Laufschuhe nicht mehr heraus. Jedenfalls
nicht, ohne dass es einem schlecht wird. Dann doch lieber gleich in
den Restmüll. Daniel wünschte sich, einmal einen
Hundebesitzer zu erwischen, der seinen Hund kacken ließ, ohne
anschließend das Häufchen wegzuräumen. Er war ja im
Nahkampf ausgebildet. Er konnte den Hund Scheiße fressen lassen
oder den Besitzer. Darüber muss ich mal mit Doktor Hamann reden,
dachte Daniel. Vielleicht hätte der sogar Verständnis. Der
Therapeut schien eher der Katzentyp zu sein.
Nach
zwei Kilometern erreichte Daniel den Golfplatz. Das Areal erinnerte
ihn an das Manövergelände, auf dem er Teile seiner
Ausbildung zum Fallschirmjäger absolviert hatte. Vor allem die
Sandbunker. In erster Linie wegen des Sands und erst in zweiter Linie
wegen des Worts »Bunker«. Tatsächlich gab es damals
auf dem Manövergelände noch ein paar Bunker aus dem Zweiten
Weltkrieg. Wahrscheinlich gibt es sie immer noch. Du kriegst die
Vergangenheit einfach nicht weg. Natürlich waren die Nazis
scheiße, aber die haben noch stabile Arbeit abgeliefert. Da war
Beton noch Beton, da kam keiner auf die Idee, dass der zerfressen
werden könnte. Während eines Badeurlaubs auf Rügen
hatte Daniel mit der Familie einmal das Seebad Prora besichtigt. Die
Nazis hatten es für zwanzigtausend Menschen konzipiert, die dort
in Friedenszeiten einen gleichgeschalteten Urlaub verbringen sollten.
Der gigantische Gebäudekomplex stand immer noch in den Dünen
wie ein Bollwerk gegen individuelles Glück. Melanie klagte die
ganze Zeit, dass ihr die Monumentalbauten Kopfschmerzen bereiten
würden. Lea schlief in der Rückentrage. Lange her. Kraft
durch Freude, dachte Daniel und
Weitere Kostenlose Bücher