Kriegsgebiete
beschleunigte seine Schritte.
Die
Golfer zogen in Kolonnen ihre Trolleys über das Fairway. Sie
waren in Gesellschaft. Daniel quälte sich mit einem
Granitsteinbruch auf dem Rücken die erste ernsthafte Steigung
hoch. Die Golfer spielten in der Landschaft. Sie machten es sich in
ihr gemütlich. Keiner meinte es ernst. Weder die Landschaft noch
die Golfer. Alles war künstlich. Die Golfer hatten den Vorteil,
dass sie die Landschaft ihren Bedürfnissen gerecht erschaffen
hatten. Überall Drainagen und Beregnungsanlagen. Selbst das
Klima wurde am Golfplatz verbessert, vielleicht sogar die
persönlichen Kontakte. Daniel hatte diesen Vorteil noch nie
gehabt. Soldaten treffen auf feindliche Landschaften. Und auf
feindliche Menschen. Du kämpfst gegen die Landschaft. Du kämpfst
gegen die Menschen. Alles ist echt. In den Nachrichten wird manchmal
gelogen, aber in echt ist alles echt.
Auf
der Steigung nach dem Golfclub bereitete der Rucksack das erste Mal
Schmerzen. Die Schultern brannten. Knapp über dem Becken wurden
die Bandscheiben so sehr zusammengepresst, dass sie um Hilfe riefen.
Daniel kam seinem Körper nicht zu Hilfe. Er quälte ihn
weiter den Berg hoch. Seine Lungen rasselten. Er konnte den Schmerz
genau spüren. Besser als jedes andere Gefühl. Irgendwie
mochte er ihn. Der Schmerz erklärte ihm ausdauernd und
großflächig, dass er noch am Leben war. Wenn er den
Schmerz lange genug aushielt, würde er hinterher müde sein.
Schlafen können. Wenigstens für ein paar Stunden.
Unermüdlich setzte Daniel einen Fuß vor den anderen,
obwohl am Berg jeder einzelne Muskel seines Körpers rebellierte.
Er stemmte sich gedanklich gegen die Körperrevolte. Schweiß
strömte aus allen Poren. Auch aus solchen, die Daniel bisher
noch nicht gekannt hatte. Der Atem musste kontrolliert werden. Er
konnte jedes einzelne Lungenbläschen spüren. Das Herz
pochte in den Schläfen. Daniel wusste: Wenn man es lange genug
aushielt, überwand man den toten Punkt. Als würde man gegen
eine Wand laufen. Die Wand gab nach, wenn der Wille stark genug war.
Dann konnte man laufen und laufen und laufen. Bis man irgendwo
hinkam. Man kam immer irgendwo hin, wenn man nicht auf der Strecke
blieb.
Ab
der Bergkuppe hatten es die Schritte leichter. Die Augen halfen auch
mit. Aussicht auf ein siedlungsfreies, funkmastfreies,
baumaschinenfreies Tal. Eine große Wiese, in die mehrere
Fischteiche unterschiedlicher Größe gesprenkelt waren. Die
Sonne quetschte sich durch ein Wolkenfenster. Man konnte jeden
einzelnen ihrer Strahlen sehen. Sie standen quer in der Landschaft
und die Fischteiche lagen wie große Spiegel im grünen
Gras. Bergab fanden die Beine einen menschenfreundlicheren Rhythmus
und Daniel merkte, wie sich sogar der Schmerz mit ihm anfreundete.
Entspannt lief Daniel zum ersten der Fischteiche. Er nahm seinen
Rucksack ab und stellte ihn auf den Boden. Bevor er den Steg betrat,
prüfte er mit den Füßen dessen Stabilität. Auf
den verwitterten Holzbohlen ging er in die Knie, tauchte seine Hände
in den Teich und klatschte sich Wasser ins Gesicht. Das Teichwasser
brannte auf den verschwitzten Wangen. Daniel atmete durch. Er beugte
sich nach vorn, um erneut Wasser zu schöpfen. Da bemerkte er das
Gesicht. Ein schönes Mädchengesicht wie aus einem
Jugendstilbild. Sehr weiß. Umrankt von Algen und dunklen,
schwebenden Haaren. Eigentlich konnte Daniel mit Jugendstil nicht
sehr viel anfangen. So ein Bild hätte er sich nicht in die
Wohnung gehängt, aber auf einmal war es einfach da. Ein
Kunstdruck im Fischteich. Daniel stützte sich mit einer Hand ab,
während er die andere ins Wasser gleiten ließ. Er konnte
die Nase spüren, die Wangen, den Mund. Ein schönes Gefühl.
Erschrocken zog er die Hand zurück. Daniel starrte ins Wasser.
Vor ihm tauchten Bilder aus Afghanistan auf. Tote Kameraden, die er
berührt hatte. Er sprang auf und rannte vom Teich weg. Zurück
zum Rucksack. Einfach weiterlaufen, dachte Daniel, aber der Rucksack
war schwer und das Gesicht im Wasser wechselte in seinem Hirn sehr
schnell mit der Erinnerung an gefallene Kameraden. Zerfetzte Körper
im Staub. Auf Geröll. Selten auf asphaltierten Straßen.
Langsam ging Daniel zum Teich zurück. Schweiß in den
Augen. Die Atmung kontrollieren, dachte Daniel, die Atmung
kontrollieren. Er blieb am Ufer stehen. Bewusst atmen. Zögerlich
betrat er den Steg. Das Wasser war trüb. Gutes Karpfenwasser. Im
Teich lag ein totes Mädchen. Hübsches Gesicht, aber eine
hässlich klaffende Wunde
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