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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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am Hals. Die Wundränder waren
schön glatt geschnitten und nur vom Wasser aufgedunsen.
Eigentlich sollte der ganze See rot sein vor Blut. Der Schmerz packte
Daniel an einer unerwarteten Stelle.

    ***

    Ein
Beamter in Zivil filmte mit einer kleinen Digitalkamera die
Schaulustigen an der Absperrung. Manchmal kehrt der Täter wieder
an den Tatort zurück. Weiß man aus jedem Fernsehkrimi,
dachte Daniel, deshalb sollte es eigentlich allen Mördern
bekannt sein, aber anscheinend hatte es sich immer noch nicht bei
allen Gewalttätern herumgesprochen. Oder manche ließen es
einfach darauf ankommen. Vielleicht gab es ihnen sogar den besonderen
Kick. Einen Moment lang hasste Daniel die Menschen. Er war froh,
darüber mit seinem Therapeuten sprechen zu können. Und
nicht mehr die Möglichkeit zu haben, scharfe Munition in
Menschenansammlungen abzufeuern.
    Zwei
uniformierte Polizisten entfernten das über den Feldweg
gespannte Plastikband. Der Rettungswagen fuhr langsam den Berg hoch.
Ohne Blaulicht. Daniel wusste: Der offizielle Begriff ist
»Rundumkennleuchte«. Ein Rettungswagen fährt ohne
Blaulicht, wenn der Zustand des Patienten es nicht erfordert, alle
anderen Autos mit einer unfallträchtigen Fahrweise an den
Straßenrand zu drängen. Entweder, weil der Patient wohlauf
ist. Oder weil es selbst dann zu spät ist, wenn man alle roten
Ampeln missachtet. Auf der Krankentrage lag ein totes Mädchen.
Kein Defibrillator, kein Beatmungsgerät, kein Notfallkoffer
konnten mehr helfen. Die dunklen Haare hatten im Wasser das Gesicht
des Mädchens sanft umspielt. Sie machten das Gesicht noch
fahler. Wie eine Porzellanpuppe lag sie im algigen Wasser. Erst
jetzt, als er den Rettungswagen schwankend den Feldweg hochfahren
sah, konnte sich Daniel »tot sein« ohne Explosionen und
Blutlachen vorstellen.
    Frauen
und Männer in weißen Schutzanzügen suchten die
Umgebung des Teichs ab, während Taucher im Wasser unterwegs
waren. Die zwei Polizisten spannten das Plastikband wieder über
den Feldweg. Daniel hatte erwartet, dass der Tatort mit einem gelben
Band mit dicken schwarzen Buchstaben abgesperrt werden würde.
Daniel hatte einmal eine CSI-Folge auf DVD angehalten, um die
Aufschrift lesen zu können. Das war gar nicht so einfach, weil
das Band von hinten zu sehen und damit die Buchstaben spiegelverkehrt
waren. CRIME SCENE – DO NOT ENTER. Das in Deutschland
gebräuchliche weiß-rote Band sah irgendwie armselig aus.
Wie frisch von einer Baustelle entwendet. Der Aufdruck
POLIZEIABSPERRUNG wirkte billig. Ein deutscher Tatort tut so, als
wäre gar nichts passiert.
    Eine
kleine blonde Frau kam auf Daniel zu. Vielleicht wirkte sie auch nur
im Vergleich mit dem finster blickenden Riesen klein, den sie im
Schlepptau hatte. Gut möglich, dass früher die 
Einstellungsvoraussetzungen einmal anders waren. Die aktuell für
den Polizeidienst geforderte Mindestgröße von 1,65 m
erreichte sie jedenfalls nur knapp. Sehr knapp. Wie viele kleine
Menschen bewegte sie sich erstaunlich zielstrebig auf ihr Ziel zu,
während das überdimensionierte Anhängsel hinter ihr
immer wieder mal seine Gliedmaßen ordnen musste.
    »Herr
Schramm?«, fragte die blonde Frau in einem Tonfall, dessen
Strenge routiniert klang.
    Daniel
stand auf. Seine Knie knackten. Das lange Sitzen auf dem Rucksack
hatte die Schmiere aus den Gelenken sonst wohin befördert.
    »Ja«,
sagte Daniel und streckte die Hand aus.
    Die
Blonde hielt ihm ihren Dienstausweis entgegen.
    »Polizeihauptkommissarin
Feller.«
    Sie
deutete mit dem Kopf nach hinten.
    »Das
ist Polizeikommissar Weber.«
    Der
Riese nickte ohne irgendeine Regung im Gesicht.
    Daniel
stand immer noch mit ausgestreckter Hand vor den beiden.
    »Fühlen
Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten?«,
fragte die Polizeihauptkommissarin.
    »Ja,
klar.«
    Daniel
zog seine Hand zurück und steckte sie in die Tasche seiner
Joggingjacke.
    »Sie
haben die Tote gefunden?«
    Daniel
nickte.
    »Ja.«
    »Wann
war das?«
    »Wird
so gegen 17 Uhr gewesen sein.«
    »Genau
wissen Sie das aber nicht?«
    »Ich
trage keine Uhr. Auch mit Uhr hätte ich wahrscheinlich nicht
drauf gesehen.«
    Der
Riese holte seinen erstaunlich normal dimensionierten Notizblock
heraus.
    »Der
Notruf ging um 17 Uhr 14 ein.«
    Webers
Stimme klang höher als Daniel erwartet hatte. Bei einem großen
Menschen rechnete man immer mit einem gigantischen Lungenvolumen und
einer sonoren Stimme. Vielleicht war dort oben aber auch die Luft
schon ein bisschen dünner.

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