Kriegsgebiete
genug von den Unterarmen entfernt. In ein paar
Wochen würde er die Ellbogen heben müssen. Die Beine waren
durch die Hose geschützt. Er hatte sich schon lange abgewöhnt,
kurze Hosen zu tragen. Daniel wusste: Du kriegst nur Zecken oder
einen Sonnenbrand davon. Oder im schlechtesten Fall beides. Im Haus
angekommen, nahm er das schnurlose Telefon von der Basisstation,
steckte es in die Hosentasche und verschwand damit nach draußen.
Sehr schnell, damit nicht allzu viel von den eigenen vier Wänden
an ihm haften blieb.
Erleichtert
ließ Daniel sich im Garten auf die Ledercouch fallen. Draußen
war es besser. Er spürte, wie das Telefon in seiner Hosentasche
gegen die Hoden drückte. Eigentlich sollte er Timo nicht mit
seiner Scheiße belästigen. Mit einer jungen Frau, die an
einer hässlichen Wunde am Hals gestorben war. Veteranen hatten
genug Probleme mit den Toten, die sie mit sich herumtrugen.
Schließlich wählte er doch Timos Nummer. Ein Freund. Sein
bester. Wenn Not am Mann sei, könne er sich jederzeit melden,
auch nachts, hatte Timo gesagt. Es war noch nicht mal Nacht.
Höchstens abends. Vorgerückter Abend. Daniel war sich nicht
sicher, ob die Not wirklich am Mann war. Na gut, er hatte eine Leiche
gefunden, aber immerhin war er nicht in Afghanistan.
»Timo
Fuchs, hallo«, meldete sich eine vertraute Stimme aus der
Ohrmuschel. So wie Daniel sie schon Hunderte Male aus einem Funkgerät
gehört hatte.
»Hier
ist Daniel.«
»Ich
weiß, wer da ist. Ich kann deine Nummer auf dem Display sehen.«
»Heute
bin ich spät dran.«
»Du
kannst jederzeit anrufen. Das weißt du doch. Oder? Du weißt
es.«
»Ich
weiß es.«
»Ist
bei dir alles in Ordnung?«
Komische
Frage, dachte Daniel. Wann ist bei mir das letzte Mal etwas in
Ordnung gewesen? War es vor Afghanistan? Oder bevor meine Frau die
Koffer und das Kind gepackt hat? Oder bevor ich die Möbel in den
Garten gestellt habe?
»Ich
hab eine Leiche in einem Fischteich gefunden«, sagte Daniel.
»Ich
hab’s nicht richtig verstanden. Sag das noch mal.«
»Leiche.
Fischteich. Eine junge Frau. Jemand hat ihr die Kehle
durchgeschnitten.«
»Scheiße.
Ich komm zu dir.«
»Gut.«
»Aber
vor dem Wochenende komm ich nicht weg.«
»Schon
klar.«
»Der
Job.«
»Ich
versteh schon.«
»Reicht
es, wenn ich Freitagabend bei dir bin?«
»Klar.«
»Hast
du das Gästebett auch zersägt?«
»Nur
die Luft rausgelassen. Ist eines von diesen aufblasbaren Teilen.«
»Dann
kann man es ja bequem nach draußen stellen. Ich bringe einen
Schlafsack mit und schlaf bei dir im Garten.«
»Gut,
ich räume ein Eck frei.«
Pause.
Einen Moment glaubte Daniel, die Leitung sei unterbrochen.
»Du
baust aber keinen Scheiß, oder?«, fragte Timo.
»Was
für eine Art Scheiß meinst du?«, fragte
Daniel.
»Keine
Ahnung. Irgendwas Suizidales. Du kannst mich jederzeit anrufen. Auch
nachts.«
Lange
nachdem sie das Telefongespräch beendet hatten, waren Timos
Worte noch fühlbar. Auch nachts . Hört sich so an,
als sei ich wirklich hilfsbedürftig, dachte Daniel. Vor allem im
mentalen Bereich. Aber Timo meint es nicht böse. Den kann nicht
mal mein mentaler Bereich schocken – nicht zuletzt, weil er
einen eigenen hat.
Eine
unnachgiebige Müdigkeit stieg von Daniels Beinen und Armen nach
oben. Seine Lider klappten zu und der Kopf kippte einfach weg. Ein
langer Tag. Daniel hatte eine Leiche gefunden. In der Heimat rechnete
man nicht damit. Wachsamkeit war angesagt. Da draußen war
irgendwo ein Feind. Seit seiner Heimkehr hatte er keinen Feindkontakt
gehabt. Außer mit sich selbst.
Zeit
für den Bildschirmschoner, wusste Daniel. Denk was Positives.
Er
freute sich auf Timo. Sie waren schon befreundet gewesen, bevor ihr
Konvoi in den Hinterhalt geraten war, aber jener Nachmittag hatte sie
zusammengeschweißt. Das viele Blut. Die gemeinsame Todesangst.
Salve um Salve auf unsichtbare Gegner abfeuern. Eine Art von
Vertrauen, das sich nur entwickelt, wenn man gemeinsam in
Lebensgefahr schwebt. Sich kurze Kommandos zubrüllt, während
die Geschosse direkt hinter dem eigenen Arsch einschlagen. Vielleicht
war das Besondere an der Freundschaft mit Timo auch erst später
entstanden. Nach ihrer Heimkehr. Sie waren auch nach Afghanistan
füreinander da gewesen. Der Kontakt war nie abgebrochen. Sie
waren Überlebende. Zurück in der Zivilisation hatten sie
sich nicht losgelassen. Daniel beschloss, bei der nächsten
Sitzung Doktor Hamann zu fragen, warum sich eine Freundschaft
zwischen Veteranen
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