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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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anders anfühlte als zwischen anderen
Menschen. »Zivilisten«, würde Daniel sagen.
»Gemeinsam Traumatisierte«, würde Doktor Hamann sie
nennen, darauf würde es hinauslaufen, als hätte alles einen
dunklen Kern, wenn man einmal Soldat gewesen war.
    Anfangs
hatte Daniel Doktor Hamann in Verdacht, Kriegsdienstverweigerer
gewesen zu sein. War ja eigentlich auch nicht schlimm. Die meisten
Zivildienstleistenden im Altenheim oder in der Behindertenwohngruppe
leisteten mehr als die Bierfraktion in der Kaserne.
    »Wo
haben Sie Ihren Zivildienst abgeleistet?«, fragte Daniel
während der vierten oder fünften Sitzung.
    »So
schätzen Sie mich also ein«, lachte Doktor Hamann.
    Daniel
versuchte sofort, erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu
lassen: »Ich hab Respekt vor Menschen, die sich freiwillig
dafür entscheiden, anderen den Arsch abzuwischen.«
    »Ich
war sieben Monate als Truppenpsychologe im Kosovo. Die Bundeswehr hat
sogar meine dienstzeitbegleitende Ausbildung zum Psychologischen
Psychotherapeuten finanziell unterstützt. Das machen die nur in
Einzelfällen.«
    »Entschuldigung.«
    »Warum
entschuldigen Sie sich? Ich dachte, Sie hätten Respekt vor
Zivildienstleistenden.«
    »Hab
ich auch. Aber ich hab auch Respekt vor Auslandseinsätzen.«
    »Passt
das zusammen?«
    »Bei
beiden bleibt man nicht kalt.«
    »Kommt
wahrscheinlich auf den Job an. Und auf den Menschen.«
    »Haben
Sie im Kosovo auch Uniform getragen?«
    »Natürlich.
Ich hatte auch eine Waffe.«
    Daniel
hatte sich in Doktor Hamann gründlich getäuscht.
Vielleicht, weil er während einer der ersten Sitzungen seinen
Lebensfaden mit dunklen und hellen Steinen legen sollte. Als sein
versteinerter Lebenslauf vor ihm lag wie die Satellitenaufnahme eines
monumentalen Alien-Artefakts, musste Daniel lachen.
    »Warum
lachen Sie?«, fragte Hamann.
    »Entschuldigen
Sie, aber das ist ein bisschen wie Kindergarten.«
    »Haben
Sie etwas anderes erwartet?«
    »Ich
dachte, Traumapatienten muss man mit ihrem Trauma konfrontieren. So
lange bis … Ich weiß nicht …«
    Hamann
nickte verständnisvoll.
    »So
kann man auch einen starken Menschen zerstören. Wenn man ihn
immer und immer wieder retraumatisiert. Ich verfolge einen anderen
Ansatz.«
    »Und
wie sieht der aus?«
    »Einen
Traumapatienten sollte man vom Traumamaterial distanzieren.«
    »Von
dem dunklen Stein?«
    »Ja,
von dem dunklen Stein.«
    In
der Folge machten sie Körperübungen und arbeiteten daran,
Filme über Nacht oder bis zur nächsten Sitzung in den
inneren Tresor zu legen. Oder einen »Bildschirmschoner«
auf Daniel mentaler Festplatte zu installieren, den er in
angespannten Situationen abrufen konnte. Ein schönes,
künstlerisches Bild. Zum Beispiel eine Landschaft aus Herr
der Ringe , aber ohne Orks. Das mit dem Bildschirmschoner wollte
nicht so richtig funktionieren.
    »Werde
ich jemals geheilt sein?«, hatte Daniel gefragt.
    »Unser
Ziel ist es, dass Ihr Körper und Ihr Gehirn Vergangenheit und
Gegenwart auseinanderhalten können.«
    Doktor
Hamann verstand Daniel. Er war ein Veteran. Einen wie ihn in der
oberfränkischen Provinz anzutreffen, war ein Glückstreffer.
Unerwartet. In einem altindustrialisierten Problemgebiet mit
ungünstigen Strukturmerkmalen. Mit einer Arbeitslosenquote zum
Davonlaufen. Und mit geballter Perspektivlosigkeit. Die Region war
mit ambulanten Therapieplätzen unter- und mit den
unterschiedlichsten Patientengruppen überversorgt. Daniel mochte
seinen Therapeuten. Einfach dafür, dass er da war. Irgendwann
würde er ihn fragen, warum es ihn hierher verschlagen hatte.
Vielleicht eine glückliche Liebe. Oder eine unglückliche.
Darauf lief es meistens hinaus.
    Timo
und Doktor Hamann. Zu beiden hatte Daniel Vertrauen. Sie machten ihm
nichts vor. Waren ehrlich. Weckten keine falschen Hoffnungen. Zwei
Menschen. Nicht gerade viel. Und Maik natürlich. Aber der war
selber nur ein Freak, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte.
Vielleicht hatten sie auch nie stattgefunden.
    Daniel
stellte sich vor, wie er auf einem Luftbild aussah. Auf der Couch
liegend. In einem Garten, der von Brennnesseln übernommen wurde.
Auf Google Earth konnte man an ihn heranzoomen. Bis man die
müden Augen sah. Und die ersten Schimmel-Brückenköpfe
im Schaumstoff der Couch. Daniel kämpfte noch ein paar Minuten
gegen den Schlaf, bis er schließlich kapitulierte. Der ganze
Körper gab nach. Das Leder machte ein zufriedenes Geräusch.
Daniel zog die Knie an und steckte einen Daumen in den

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