Kriegsgebiete
erkannte er,
dass das Badezimmerfenster im ersten Stock gekippt war, aber auch im
Erdgeschoss hätte er nicht gewusst, was er mit einem gekippten
Fenster anfangen sollte. Er war kein Einbrecher sondern Soldat. Als
solcher hatte er sich schon Zugang zu fremden Häusern
verschafft, aber da war er beauftragt gewesen. Hatte ein klar
umrissenes Ziel. War nicht allein. Alle in Uniform. Eine Feuerwaffe
im Anschlag. Plötzlich war sein Garten Feindesland. Er war in
der Defensive. War in einen Hinterhalt geraten. Er begann zu
schwitzen.
Dein
Atem wird flach, dachte Daniel, pass bloß auf deinen Atem auf!
Erst passt die Atmung nicht mehr, dann zittert der ganze Körper
und schließlich kriegt das Hirn nicht mehr genug Sauerstoff.
Dann trifft das Hirn falsche Entscheidungen. Du willst sie sofort
rückgängig machen, aber dann ist es schon zu spät.
Daniel
ging in die Hocke und umschlang seine Knie mit den Armen. Er
versuchte, Regelmäßigkeit in seine Atmung zu kriegen.
Rhythmus. Gleichmaß. Gesetzmäßigkeit. Jetzt
klingelte das Leben an seiner Tür. Und es war scheiße.
Daniel ärgerte sich, dass er die Terrassentür abgeschlossen
hatte, aber Sicherheit war wichtig. Sie war das übergeordnete
Ziel. Der stabilisierende Ansatz. Wichtig für einen
Traumapatienten, um wieder ins Leben zu finden. Wenn er sich schon
selbst nicht schützen konnte, dann wenigstens das Haus. Der
Feind durfte nicht hinter die Verteidigungslinien kommen.
Einen
Moment lang erwog Daniel die Möglichkeit, mit einem
Blumenübertopf die Scheibe der Terrassentür einzuschlagen.
Dann dachte er an den Lärm. An das lächerliche Video bei
YouTube, das einen verstörten, ungepflegten Kerl dabei zeigt,
wie er versucht, in sein eigenes Haus einzubrechen. Und sich dabei
dämlich anstellt.
Hey,
sagte sich Daniel, du bist hier nicht im Feindesland. Das ist eine
Demokratie. Und du bist in deinem beschissenen, demokratischen
Garten, deinem geschützten Eigentum, deiner Privatsphäre.
Das Private ist eine gute Erfindung der Neuzeit, die von allen
totalitären Systemen gehasst wird. Du solltest dich nicht dafür
verteidigen müssen, dass du hier bist. Kneif deine Arschbacken
zusammen!
Automatisch
spannte Daniel tatsächlich seine Gesäßmuskulatur an.
Es gefiel ihm, seine Muskeln zu spüren. Physisch war er topfit,
nur sein Hirn war nicht mehr in der unbeschädigten Verfassung
aus der Zeit vor dem Auslandseinsatz. Leider gab es im Hirn keine
Muskeln, die man trainieren konnte. Sein Arsch war immer noch
konkurrenzfähig. Die Schwabbelmasse im Schädel nicht. Dass
Melanie ihn verlassen hatte, konnte unmöglich an seinem Arsch
gelegen haben. Mit einem Gefühl der Stärke nahm Daniel
schwungvoll die Granitstufen von der Terrasse zurück aufs Gras.
Die feuchten Brennnesseln klatschten gegen seine Hosenbeine. Sie
sehnten sich nach unbedecktem Fleisch. Als er um die Ecke des Hauses
bog, sondierte er die Lage. Routine. Gründliche Ausbildung wird
man nicht mehr los. Die Rothaarige war mit ihrem Kamerateam ans
Gartentor zurückgekehrt. Sofort kreuzten sich ihre Blicke. In
den Augen der Reporterin konnte Daniel ablesen, wie ein kurzer Moment
des Erstaunens zu der professionellen Unruhe eines jagenden Tieres
wechselte. Ihre Augen bewegten sich schnell hin und her. Als würde
sie vom Teleprompter eine Nachricht ablesen. Der Kameramann und der
Tonpraktikant setzten sich gleichzeitig mit ihr in Bewegung.
Daraufhin wurden auch die anderen Kamerateams vor dem Gartentor
unruhig. Im Gartentor kam es zu einem Engpass. Sendernamen wurden ihm
entgegengebellt.
»Wie
haben Sie sich nach dem Fund der Leiche gefühlt?«
Mit
Mikrofon sah die Rothaarige noch hübscher aus. Vielleicht
erscheinen alle Menschen hübsch, wenn man sie aus dem Fernsehen
kennt.
»Stimmt
es, dass die Leiche nackt war?«, brüllte eine männliche
Stimme, die Daniel vertraut erschien. RTL explosiv vielleicht.
Oder doch nur der Regionalsender?
»Wie
geht man als ehemaliger Elite-Soldat mit dem Tod um?«, fragte
die Rothaarige. Die Frage ist noch nicht mal so dumm, dachte Daniel.
Eine
kleine Blonde, rotes Mikrofon mit weißer Aufschrift, drückte
sich an ihn. Ihre Stimme quietschte gummimäßig.
»Stimmt
es, dass Sie die Tote kannten?«
Die
Frage der kleinen Blonden hallte in seinem Kopf nach. Sie klatschte
wie ein Echo von einer Schädelwand zur anderen.
»Ich
kenn doch die Tote gar nicht«, stammelte Daniel, »die war
doch tot.«
Er
sah in die Kameras, die auf ihn gerichtet waren. Im Irak hatten
amerikanische
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