Kriegsgebiete
Hubschrauberpiloten ein Kamerateam erschossen, weil sie
die geschulterten Kameras für Panzerfäuste gehalten hatten.
In den Linsen der Kameras sah er sein eigenes Gesicht. Es sah
unglaublich müde aus. So gut er seinen Körper in Schwung
halten konnte, so wenig gelang es ihm bei den Augenrändern. Und
beim Hirn natürlich. Das hatte er schon aufgegeben.
»Ich
treibe Sport«, sagte Daniel.
Die
Rothaarige lächelte ihn an. In ihren Augen machte sich Wissen
breit.
»Haben
Sie in Afghanistan viele Tote gesehen?«, fragte sie.
Daniel
drehte sich um und rannte davon. Ein kurzer Blick über die
Schulter: Die Medien-Meute folgte ihm. Wegen der Kabel, der Kameras,
der ganzen Technik waren sie langsamer. Und weil sie nicht den Weg
durch die Brennnesseln kannten. Die kleine Blonde schrie auf. Mini
und keine Strümpfe. Darauf hatten die Brennnesseln seit Tagen
gewartet. Auf der Terrasse angekommen, hob Daniel einen Blumenstock
auf und warf ihn durch die Scheibe der Terrassentür. Daniel
griff vorsichtig durch das Loch im Glas. Trotzdem blieb er an einer
Scherbe im Türrahmen hängen und schlitzte sich den Ärmel
seiner Jogging-Jacke auf. Er drückte den Türgriff nach
oben. Flüchtete ins leer geräumte Wohnzimmer. Daniel drehte
sich um und verriegelte die Tür. Auf der Terrasse standen drei
Kamerateams. Die Objektive der Kameras saugten an ihm. Er rannte ins
Obergeschoss, obwohl er Angst vor dem Schlafzimmer hatte. Daniel
schloss sich im Badezimmer ein. Mit dem Rücken rutschte er die
Badezimmertür hinunter. Seine Handflächen spürten das
Holz. Er zog die Beine an und lehnte sich zurück. Unentspannt.
Sofort wurde ihm das Unprofessionelle seiner Situation bewusst.
Niemals eine geschlossene Tür als Deckung nehmen, wenn du nicht
von einer Salve aus einer Maschinenpistole zerfetzt werden willst.
Schnell rutschte Daniel von der Badezimmertür weg.
Ihm
ging die Frage der kleinen, blonden Fernsehtussi nicht mehr aus dem
Kopf.
» Stimmt
es, dass Sie die Tote kannten?«
Stimmt
es? Daniel zermarterte sein untrainiertes Hirn. Stimmt es?
***
Wie
die Heuschrecken waren die Fernsehteams über sein Leben
hergefallen. Über sein scheiß traumatisiertes Dasein. Ein
Schwarm gefräßiger Medien-Wanderheuschrecken. Hungrig nach
Informationen. Nach Bildern. Nach allem Verwertbaren. Daniels
gewaltsames Eindringen ins eigene Haus hatte den Schwarm vorerst satt
gemacht und er war weitergezogen. Mit einem Handspiegel unter dem
Badezimmerfenster kauernd hatte Daniel den Aufbruch der Journalisten
verfolgt.
Danach
war er zu Bonaparte gegangen, um Futter und Wasser nachzufüllen.
Als Daniel das Kinderzimmer betrat, blitzten ihn wütende,
vernachlässigte Kleintieraugen an. Geduld war definitiv nicht
die starke Seite des Hauskaninchens. Daniel hatte Lea den Namen Bonaparte vorgeschlagen, nachdem er im Fernsehen eine Doku
über Napoleon gesehen hatte. Lea hatte begeistert zugestimmt.
Erst später stellte sich heraus, dass sie den Namen mit einer
Rockband assoziierte, deren Videos sie bei YouTube gesehen hatte. Die
Musiker trugen lustige Verkleidungen. Bald danach verlor Lea erst das
Interesse an dem Kaninchen und dann an der gleichnamigen Rockband.
Daniel
ging ins Wohnzimmer, um nachzuschlagen, die wievielte der Zehn
Plagen die mit den Heuschrecken war. Die Bibel lag wie alle
anderen Bücher auf dem Boden. Noch bevor die restliche
Wohnzimmerausstattung im Garten gelandet war, hatte Daniel das
Bücherregal umgeworfen. Daniel hob die Bibel auf und blätterte
im Buch Mose.
Da
sprach der Herr zu Mose: Recke deine Hand über Ägyptenland,
dass Heuschrecken auf Ägyptenland kommen und alles auffressen,
was im Lande wächst, alles, was der Hagel übrig gelassen
hat.
Die
Heuschrecken waren die achte Plage. Davor kam alles mögliche
andere Viehzeugs, Seuchen und Hagel, danach nur noch die dreitägige
Finsternis und der Tod aller Erstgeborenen. Was Gott sich eben so
einfallen lässt, wenn man sich mit ihm anlegt. Besser man hatte
ihn auf seiner Seite. In Afghanistan waren die Taliban überzeugt,
dass er auf ihrer Seite stand. Daniel hatte dazu keine Meinung
gehabt. Nicht vor dem Einsatz – und auch nicht irgendwann
danach. Melanie und er hatten die Bibel in ökumenischer
Übersetzung zu ihrer kirchlichen Trauung geschenkt bekommen.
Vorne eine handgeschriebene Widmung. »Dass Gott Sie auf Ihrem
gemeinsamen Weg begleiten möge, das wünscht Ihnen Pater
Kemnitzer«. Gelegentlich hatte Daniel Lea aus der Bibel
vorgelesen, obwohl er nicht wirklich
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