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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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gläubig war. Gott ließ
einfach zu viel zu, wenn er wirklich allmächtig war. Vielleicht
fühlte Daniel sich wegen der Widmung verpflichtet. Lea mochte
vor allem das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Passt bei einer Tochter
nicht richtig, aber trotzdem musste Daniel sich beim Lesen immer eine
Träne verdrücken. Wasser zu Wein machen
    kommt
bei Kindern auch immer gut an, oder Brote vermehren. Aussätzige
heilen sowieso. Kinder gruseln sich gerne, solange ihnen ein Schutz
bietender Arm um die Schultern gelegt wird. Lea wollte in allen
Einzelheiten geschildert bekommen, wie die von der Lepra zerfressenen
Körperteile aussehen. Daniel hatte schon Lepra-Kranke gesehen.
Er konnte sich genau daran erinnern, dass er den Blick nicht von den
Kranken abwenden konnte. Sie sahen nicht mehr wie Menschen aus
sondern wie Zombies. Oder Aliens. Lea fand die Aussätzigen
widerlich. Sie schaute ihren Vater bewundernd an. So als hätte
er die Aussätzigen durch seine Anwesenheit geheilt oder geimpft
oder in einer magischen Flüssigkeit gebadet, die sie vor allem
Übel beschützen würde. Daniel hatte noch das Alter
miterlebt, in dem Kindern den Glauben daran verlieren, dass ihre
Väter Wunder vollbringen können, bevor seine Tochter mit
Melanie in die neue Wohnung gezogen war. Und mit Rainer in
Rekordgeschwindigkeit einen Ersatzvater präsentierte.
    Vor
den Menschen, die man liebt, kann man nicht in Deckung gehen, dachte
Daniel. Schmerzvoll erinnerte er sich daran, wie Melanie gesagt
hatte, sie müsse sich trennen. Sie müsse sich schützen.
Vor ihm schützen. Und jetzt stand er in seinem verwüsteten
Wohnzimmer, seinem ehemaligen Wohnzimmer, seinem verlassenen
Wohnzimmer.
    Daniel
ging mit der Bibel nach draußen und setzte sich auf die Couch.
Es war gut, etwas in der Hand zu halten. Der Umschlag würde sich
beim nächsten Regen auflösen. Eine Taschenbuch-Ausgabe.
Selbst das Wort Gottes war nicht mehr für die Ewigkeit gemacht.
Genauso wie Ehen. Überzeugungen. Sicherheiten. Du kannst nichts
dagegen machen, dachte Daniel.
    Ein
Auto hielt in unmittelbarer Nähe. Die Türen quietschten
beim Öffnen. Daniel sah zum Gartentor. Der Riese Weber hielt der
kleinen blonden Hauptkommissarin das Tor auf. Obwohl er sich
anstrengte, konnte sich Daniel nicht mehr an den Namen der Polizistin
erinnern, sondern nur an ihre blauen Augen und an ihre Brüste.
Die Augen waren streng, wenn sie es wollte. Die Brüste stellte
man sich bei einer Polizistin automatisch kleiner vor, bis man sie in
der Realität sah. Die beiden Beamten klingelten an der Tür.
Weber trug eine Aktentasche mit sich, die er unruhig in seinen
riesigen Pranken hin- und hergleiten ließ. Von der rechten in
die linke und wieder zurück, ping-pong-mäßig.
Schließlich umklammerte er den Griff der Aktentasche mit beiden
Händen. Etwas Gewichtiges musste darin sein. Daniel stand auf
und ging durch die Brennnesseln nach vorn. Die Kamerateams hatten den
Pfad breiter getreten.
    »Hallo«,
sagte Daniel.
    Unaufgeregt
drehten sich die beiden Polizisten zu ihm um. Natürlich, dachte
Daniel, wenn sie an einer Tür klingeln, sind sie auf alles
vorbereitet. Wirklich alles.
    »Guten
Tag«, antwortete die Kommissarin, »wir würden Ihnen
gerne noch ein paar Fragen stellen.«
    »Klar,
kommen Sie mit. Ich bin gerade im Garten.«
    »Wenn
Sie nichts dagegen haben, erledigen wir das lieber im Haus«,
sagte Weber. Bei ihm klang der Vorschlag wie ein Befehl. Daniel hatte
schon immer Vorbehalte bezüglich Anweisungen von Personen, die
größer als er selber waren.
    »Glauben
Sie mir, der Garten ist gar nicht so schlecht.«
    Während
Daniel durch die Brennnesseln ging, hörte er, wie die beiden
Polizisten hinter seinem Rücken tuschelten. Er stellte einen
Plastikeimer  mit dem Boden nach oben vor die Couch und setzte
sich darauf. Verwundert starrten Weber und die blonde
Hauptkommissarin auf die Couch, als sie vorsichtig durch die
Brennnesseln gingen. Daniel machte eine einladende Handbewegung.
    »Bitte,
nehmen Sie Platz.«
    Die
Hauptkommissarin setzte sich entspannt auf die Couch, allerdings ohne
Daniel auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Weber sah sich
dagegen erst einmal um, bevor er sich vorsichtig, die Handflächen
nach unten, auf dem Lederbezug niederließ. Er lehnte sich nicht
an, sondern blieb stocksteif sitzen, um der Couch so wenig
Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Wahrscheinlich spürte
er schon die Feuchtigkeit von der Sitzfläche aufsteigen. Kein
schlechtes Team, dachte Daniel,

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