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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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Soundanlage eines Open-Air-Festivals quer über den See von
einem Ufer zum anderen übertragen. Daniel griff vorsichtig in
den Rucksack. Bloß nicht sich selber schneiden. Noch einmal sah
er sich kurz um. Dann holte er das Messer aus der Plastikhülle
und warf es in den See. Er fuhr zu einem Papierkorb in der Nähe
der Sommergaststätte. Dort wurde der Müll öfter
abgeholt. Er stopfte die Klarsichthülle tief in den Abfall. Senf
und Ketchup blieben an seiner Hand und seinem Unterarm kleben. Wären
die Hunde in der Nähe, würde ihn der Geruch sofort
verraten. Hundezungen, die ihn abschleckten. Selbst Menschen würden
die gelb-roten Schlieren eigentümlich finden. Speisereste. Sie
würden sich an ihn erinnern. Daniel fuhr zu einem nahe gelegenen
Badestrand und lehnte das Fahrrad an einen Baum. Mit den Knien im
Kies wusch er sich die Hände.
    Sehr
gründlich. Jedes einzelne Nagelbett. Zwanghaft konnte man auch
sagen. Die ersten Spaziergänger glotzten schon. Daniel hörte
auf, seine Hände zu waschen, obwohl er das Bedürfnis hatte,
es weiter zu tun. Mit hohlen Händen fasste er Wasser aus dem
See. Wassertropfen klatschten gegen sein Gesicht. Die Hände
fuhren über die Wangen. Rieben über die geschlossenen
Lider. Der  Fahrtwind trocknete die Feuchtigkeit. Die Haut
spannte auf den Wangenknochen, als wäre sie daran festgetackert.
Er trat stärker in die Pedale. Bloß nicht stehen bleiben,
immer in Bewegung sein, dachte Daniel. Kein leichtes Ziel abgeben.

    ***

    Daniel
stoppte das Rad ein paar Meter vor dem Altglas-Container. Der Boden
um den zigarrenförmigen Metallkörper war übersät
mit Glasscherben. Glasscherben waren der natürliche Feind des
Radfahrers.
    Daniel
sprang vom Rad und ließ es gegen eine rechteckig geschnittene
Hecke kippen. Er rannte in Richtung des Containers. Sieht aus wie ein
Teil der internationalen Raumstation, dachte er. Im Weltall würden
die Glassplitter schwerelos um den Container schweben. Blöde
Gedanken hat man, kurz bevor man kotzen muss. Eingerahmt von der
Hecke und dem Glascontainer übergab sich Daniel. Auf dem Boden
Speisereste, an die er sich überhaupt nicht erinnern konnte. Mit
einem Papiertaschentuch wischte sich Daniel den Mund ab. Dann warf er
es in die kreisförmige Öffnung für Grünglas. Und
kletterte wieder aufs Rad. Der erste Tritt in die Pedale fiel mehlig
aus. Knie aus Gelee. Und die ganzen Beine ohne Muskeln. Die Hämatome,
die er im einseitig verlaufenen Kampfgeschehen mit Rainer
davongetragen hatte, suchten sich Wege tiefer unter die Haut. Die
geprellten Rippen ruinierten jeden Versuch, tief durchzuatmen. Zum
Glück war Maiks Wohnung nur noch zwei Straßen entfernt.
    Vor
Daniels Augen begannen kleine bunte Punkte zu tanzen. Vielleicht auch
dahinter. Gelb. Rot. Grün. Violett. Wahrscheinlich irgendwelche
desertierte Atome aus dem Hirn. Jetzt bloß nicht vom Fahrrad
fallen, dachte Daniel. Im Blindflug hielt er neben seiner
Stammlaterne und kettete das Fahrrad an. Er drückte den
Klingelknopf, ohne die Beschriftung zu lesen. Der dritte von oben.
Als der Türöffner summte, fiel Daniel mit der Tür nach
innen. Die Treppe nach oben. Rennen. Rennen geht immer, wenn man die
erste Angriffswelle überlebt hat. Aber immer noch jeder Schritt
schwammig und die Atmung flach.
    Maik
stand in der offenen Wohnungstür. Auf den letzten Stufen hörte
Daniel seinen eigenen Atem, als käme er nicht aus seinem Körper,
sondern von außerhalb. Nicht normal. Als würde ein Amok
laufender Lungenflügel auf einem Stethoskop herumspringen.
    »Was
ist denn mit dir los?«, fragte Maik.
    »Keine
Ahnung. Wie schaut’s denn aus?«
    »Scheiße.
Du schaust scheiße aus.«
    »Hast
du was zu trinken? Ich brauch dringend was zu trinken.«
    »Komm
rein.«
    »Danke.«
    »Kipp
bloß nicht um.«
    Durch
die Poster im Flur.
    Neil-Young-Konzert.
    Blues-Brothers-Filmplakat. They’re on a mission from God .
    Control.
Grandioses europäisches Kino.
    Giant-Sand-Plakat
mit großem Fisch.
    In
der Küche hielt Maik ein Glas unter den Wasserhahn. Er drehte
den Hahn zu weit auf und das Wasser spritzte auf seine Hand, sein
T-Shirt, seine Hose.
    »Mist.«
    Maik
reichte Daniel das Glas.
    »Hier,
bitte. Und dann erzähl mal, was los ist.«
    Daniel
trank das Glas in einem Zug leer. Die bunten Punkte, die in seinen
Augen tanzten, beruhigten sich. Er ging zum Wasserhahn und schenkte
sich noch mal nach. Er atmete durch. Sein Atem fand den Weg zurück
in die Lungen. Das zweite Glas leerte er in kleinen Schlucken.

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