Kriegsgebiete
Die
Magensäure, die noch am Kehlkopf und in der Speiseröhre
klebte, wurde dorthin gespült, wo sie hingehörte.
Maik
beobachtete Daniel besorgt aus den Augenwinkeln. Weil er verhindern
wollte, dass dies auffiel, las er höchst interessiert das
Statement der Magnetbuchstaben auf seinem Kühlschrank:
aLLeS
fUnkTHionyRt / AUssER DU.
Ich
sollte was sagen, dachte Daniel.
»Sag
mal, der Film Control ist doch über diese Band, die du
schon in den Achtzigern mochtest?«
»Joy
Division. Du lenkst ab.«
»Der
Sänger hat sich umgebracht, oder?«
»Er
hat sich aufgehängt.«
»Aufgehängt?
Scheiße. Kurt Cobain hat sich wenigstens erschossen.«
»Was
soll daran besser sein?«
»Es
schaut cooler aus.«
»Du
redest Müll.«
»Warum
gibt es eigentlich noch keinen Film über die letzten Tage von
Kurt Cobain?«
»Den
gibt’s. Last Days von Gus Van Sant. Du lenkst immer noch
ab.«
Ȇber
alles gibt es schon einen Film.«
»Ist
auch okay, wenn du nicht drüber reden willst.«
Maik
öffnete die Kühlschranktür und holte zwei Bierflaschen
heraus. Er entkorkte sie und reichte Daniel eine. Sie stießen
miteinander an. Bierflasche an Bierflasche. Wie es Freunde machen.
»Du
hast aber nicht vor, dich umzubringen?«, fragte Maik.
»Weiß
nicht. Es ist immer eine Option.«
»Danach
ist alles vorbei.«
»Eben.
Manchmal sind die einfachsten Lösungen die besten.«
»Verschwendung.«
»Was?«
»Es
ist Verschwendung. Kurt Cobain. Ian Curtis. Elliot Smith. Vic
Chesnutt. Mark Linkous. Hätten alle noch grandiose Musik machen
können. Ihre Songs sind besonders intensiv. Leidenschaftlich.
Vielleicht ist man besonders gefährdet, wenn man
leidenschaftlich ist. Oder kreativ.«
»Man
ist überhaupt immer gefährdet.«
Maik
nahm einen kräftigen Schluck Bier.
»Weißt
du, was dein Problem ist? Du willst dir nicht wirklich helfen lassen.
Du glaubst, du musst durch die ganze Scheiße alleine durch.«
»Von
welcher Scheiße sprichst du?«
»Posttraumatische
Belastungsstörung. Ich hab mir ein Buch drüber besorgt. Da
steht drin, du musst dich mit den Ereignissen in einer
unterstützenden Atmosphäre auseinandersetzen.«
»Und
die unterstützende Atmosphäre bist du?«
»Ja,
verdammt. Du hast gerade ein Bier von mir gekriegt. Das ist
unterstützend, aber du redest belanglose Sachen über Filme,
um abzulenken. Du glaubst, dass die Schmerzen vorbeigehen, wenn du
nur lange genug mit einem Rucksack voller Granitsteine durch die
bekackte Landschaft läufst.«
»Okay,
und wie soll ich jetzt konkret die unterstützende Atmosphäre
nutzen?«
»Du
könntest mir erzählen, was heute schiefgelaufen ist.«
Einen
Moment lang spielte Daniel mit dem Gedanken, Maik alles in Kurzform
zu erzählen, aber mit besonderem Schwerpunkt auf dem Umstand,
dass er seinen Therapeuten ermordet aufgefunden hatte und er die
Tatwaffe verschwinden ließ, weil sie zufälligerweise ihm
gehörte. Dann entschied er sich dagegen. Ein Traumatisierter
reichte. Es war nicht hilfreich, auch noch einen Freund in einen
psychisch labilen Zustand zu versetzen.
»Alles
okay. Passt schon.«
»Deshalb
siehst du so extrem mies aus. Und laberst suizidale Grütze.
Weil’s passt.«
Daniel
nippte kurz an seinem Bier.
»Mit
angegriffener Psyche steckst du einen Leichenfund einfach nicht mehr
so gut weg. Hast du im Internet etwas über die Mordopfer
rausbekommen?«
»Sie
hatten alle einen Freund. Adrian. Benjamin. Niklas.«
»Nichts
Ungewöhnliches. Die Frauen waren hübsch. Wenn man sich
nicht mit Gewalt dagegen wehrt, ergibt sich das in dem Alter.
Beziehung und so.«
»Ja,
aber die drei Typen haben alle etwas gemeinsam.«
Maik
nahm einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche. Dann zögerte
er.
»Geht’s
noch weiter?«, fragte Daniel.
»Hat
vielleicht nichts zu bedeuten.«
Wieder
ein Schluck aus der Bierflasche.
Übersprunghandlung,
dachte Daniel.
»Warum
sagst du nicht, was los ist? Ich bin der Psycho. Brauchst du auch
unterstützende Atmosphäre?«
Maik
musste lachen. Keine gute Idee, in diesem Moment Bier zu trinken.
Maik verschluckte sich und hustete. Sein Kopf verfärbte sich
rot. Daniel klopfte auf den Rücken seines Freundes, bis der
wieder hörbar einatmete. Etwas Bier suchte in der Nase nach
einem Ausgang. Maik schniefte es hoch. Sein Lachen hatte nicht echt
geklungen.
»Ich
kann dich ja nicht anlügen. Du kennst mich zu gut. Ich bin auch
nicht der Typ, der einem Freund was vormacht.«
»Okay«,
sagte Daniel, »dann mach mir nichts
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