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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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Frontschutzbügel
sind Killer. Außerdem gleitet man als Zweiradfahrer nicht über
das Dach des beschissenen Neureichen-Vehikels. Man klatscht auf die
Motorhaube. Knochen geben leicht nach. Oder man dringt durch die
Frontscheibe in das Fahrzeuginnere ein. Gewebe gibt auch leicht nach.
Wenn man keinen Helm trägt, wird man von der Frontscheibe
skalpiert. Vielleicht musste Daniel seine Helmallergie ablegen, wenn
er den Straßenverkehr überleben wollte.
    Daniel
verfolgte den silberfarbenen SUV. Er konnte Geländelimousinen
nicht akzeptieren. Wie sie immer aerodynamischer, protziger und
gleicher aussahen. Konsequent fuhr Daniel im höchsten Gang. Er
kam immer näher. Im Stadtverkehr war ein Fahrrad kaum zu toppen.
Eine Zeit lang sah es aus, als könnte er den Fahrer des
Pseudo-Geländewagens an einer Ampel stellen, aber dann gelang
dem Wichser während einer unerwarteten Grünphase doch die
Flucht.
    Daniel
schwitzte. Der Schweiß tat ihm gut, sogar als er ihm in die
Augen lief. Er malte sich aus, wie er den Typen aus dem Auto gezogen
hätte. Wahrscheinlich trug er einen Anzug, aber das war nur eine
Vermutung. Durch die getönte Frontscheibe hatte er keinen Anzug
gesehen. Er hätte ihn am Revers gepackt. Oder besser an der
Krawatte. Nur, um zu reden. Nur, um deutlich zu machen, dass er die
Gefährdung von schwächeren Verkehrsteilnehmern nicht
durchgehen lassen konnte. Vielleicht hätte er ihm versehentlich
einen Kopfstoß verpasst. So ein Nasenbein gibt schnell nach.
    Die
Innenstadt ging in immer gleiche Wohngebiete und danach in noch
gleichere Gewerbegebiete über. Autohäuser. Einkaufsmärkte.
Bowling-Center. Die Justizvollzugsanstalt. Beim Naherholungsgebiet
angekommen, fuhr er auf die Staumauer des Sees. An dieser Stelle war
der See am tiefsten. Etwa fünfzehn Meter. Ein Taucher, dessen
Sohn mit Lea in den Kindergarten gegangen war, hatte ihm vor einigen
Jahren erzählt, dass man dort unten die eigene Hand nicht vor
Augen sehen kann. Und zwar egal, wie dicht man sie vor sein Gesicht
hält. Die Wasserfläche des Sees kräuselte sich nicht
einmal. Glatt wie auf einer Ansichtskarte. Daniel stand am Geländer.
Blick nach links. Blick nach rechts. Irgendwann würden die
Sekunden kommen, in denen er alleine war mit der Staumauer und dem
See. In denen alle potenziellen Zeugen verschwunden waren. Die Nordic
Walker, die umschlungenen Liebespaare und vor allem die Hundeschule,
die mit zwanzig an Hunde geleinten Menschen unterwegs war. Daniel
wusste, dass die ausschließliche Ausbildung auf Hundeplätzen
nicht so erfolgreich war wie in der freien Natur. Oder zwischen
Radfahrern, kreischenden Teenagergirlies und Pommes verschlingenden
Kleinkindern im Naherholungsgebiet. Hunde lernen kontext-, also
umweltbezogen. Sie verbinden den Ort damit, bestimmte Kommandos
auszuführen. Da Hunde schlecht generalisieren können, haben
sie Schwierigkeiten, das auf dem Hundeplatz Gelernte auf
Alltagssituationen zu übertragen. Genau wie Menschen im
Allgemeinen – und Bürger in Uniform im Besonderen.
Afghanistan war ein Riesen-Aha-Erlebnis. Die Einheimischen sahen
anders aus als die verkleideten Kameraden, die auf dem
Truppenübungsplatz die Afghanen spielten. Die echten waren
unberechenbarer. Neunzig Prozent waren freundlich oder neutral
eingestellt. Die restlichen zehn Prozent konnte man von ihnen nicht
unterscheiden. Sie spielten freundlich und neutral. Bis es so weit
war. Irgendwann war es so weit. Selbst die afghanische Landschaft
zeigte sich schnell von einer feindlicheren Seite als der
Truppenübungsplatz in Sachsen-Anhalt. Scharfe Geschosse wirkten
sich anders aus als Übungsmunition. Schwimmbewegungen auf dem
Trockenen waren nicht wie im Wasser. Hätte man sich vorher
denken können, dachte man aber nicht.
    Daniel
wartete, bis die ganzen Beine, die ganzen Augen und die liebevoll
umschlungenen Körper verschwunden waren. Und die Hundenasen. Die
waren besonders gefährlich. Ein paar Hunde hatten ihre Herrchen
unvermittelt in die Richtung von Daniels Rucksack gezerrt. Immer
waren das gleiche bellende Kommando und der gleiche heftige Ruck an
der Leine das Resultat. Die Hunde röchelten enttäuscht. Nur
einer jaulte kurz auf. Das blutige Messer hätten sie alle gerne
abgeleckt.
    Dann
war der Staudamm ganz leer. Fast. Ein Rentner mit seinem Enkel an
einem Ende. Beide sehr langsam. Der eine lernte das Laufen erst,
während der andere es langsam wieder aufgab. Das Öffnen des
Reißverschlusses hörte sich so laut an, als würde es
die

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