Kriegsgebiete
die Scheiben
des Wintergartens auf das fiel, was von ihm übrig war.
Daniel
sah sich im Raum um. Auf dem kleinen Tisch vor Hamanns Leichnam lag
ein Messer. Dick klebte Blut an der Klinge. Daniel ging in die Hocke
und betrachtete das Messer. Er erkannte die kleinen am Knauf
eingeritzten Initialen. Eindeutig seine eigene verschwundene Waffe.
Gegen so eine Scheiße half keine Therapie. Vor allem dann
nicht, wenn der Therapeut tot war.
Daniel
ging zu Doktor Hamanns Schreibtisch. Er holte ein Papiertaschentuch
aus seiner Hosentasche und umwickelte damit den Telefonhörer.
Mit einem weiteren Taschentuch griff er sich einen Kugelschreiber und
wählte damit Timos Nummer. Bestimmt ein Fehler. Ganz bestimmt.
Aber Timo war sein Kamerad. Er hatte ihn nie hängen lassen.
»Du
musst das Messer loswerden«, sagte Timo.
»Ich
kann die Situation nicht einschätzen. Den Feind. Waren das die
Taliban oder irgendein verrückter Serienkiller?«
»Egal,
du musst dich erst mal selber absichern! Jeder wird glauben, dass du
den Doc umgebracht hast.«
»Warum
denn ich?«
»Weil
du ein gestörter Psychopath bist.«
»Ich
war’s nicht.«
»Natürlich
warst du’s nicht. Jemand will dir das in die Schuhe schieben.«
»Das
ist zu heftig. Meine Gedanken lassen sich nicht mehr organisieren.
Sie sind auf freiem Fuß. Mein Therapeut wurde ermordet.«
»Mach
jetzt bloß nicht schlapp!«
»Als
hätte man den Feldarzt und die Sanitäter erwischt.«
»Du
musst das Messer loswerden.«
»Ja.«
»Was
ja? Du musst das Messer loswerden! Wiederhole den Befehl.«
»Ich
muss das Messer loswerden.«
Daniel
legte den Hörer auf, ohne sich bei Timo zu bedanken.
Danksagungen hätten sie beide als Zeitverschwendung betrachtet.
Ihre gemeinsame Vergangenheit schützte sie vor zu vielen Worten.
Daniel sah sich um. Es musste schnell gehen. Verhalten bei
Hinterhalt: Durchbrechen oder in die Eisen steigen und Rückwärtsgang.
Versprengt werden konnte ein Einzelner nicht. Oder vielleicht doch.
Zum Sammelpunkt durchschlagen. Daniel fühlte sich versprengt. Er
ging zurück in den Wintergarten und schaute sich noch mal die
Sauerei an.
»Wie
wär’s, wenn nichts davon real ist?«, fragte Daniel
seinen Psychotherapeuten. »Wenn das alles nur in meinem Kopf
stattfindet?«
Doktor
Hamann gab keine Antwort.
Daniel
packte das Messer in eine Klarsichthülle, die er auf dem
Schreibtisch fand.
»Bloß
nicht versuchen, die Fingerabdrücke zu entfernen«, hatte
Timo gesagt. Oder war es ihm selbst eingefallen? Bei seinen früheren
Besuchen in der Praxis hatte Daniel bereits unzählige
Fingerabdrücke hinterlassen. Außerdem würde er auch
Spuren verwischen, die auf den tatsächlichen Mörder
hinwiesen. Es gab da draußen jemanden, der auf seine Fehler
wartete. Einen Feind. Möglichst schnell raus aus dem Hinterhalt.
In Bewegung bleiben. Er packte die Klarsichthülle mit dem Messer
in seinen Fahrrad-Rucksack. Das Entriegeln seines Fahrradschlosses
machte ihm ungewohnte Schwierigkeiten. Die Hände zitterten, als
würden sie keinem Befehl mehr folgen. Einmal fiel ihm sogar der
Schlüssel herunter. Du musst an deine Atmung denken, dachte
Daniel und versuchte, tief in den Bauch zu atmen. Dabei wurde ihm
schlecht, aber er schaffte es, das Fahrradschloss aufzusperren, bevor
er sich übergeben musste. Mit kräftigen Tritten fuhr er
los. In die Eisen steigen, einen klaren Kopf bekommen, dachte Daniel.
An
der nächsten Kreuzung wäre er fast von einem silberfarbenen
SUV erfasst worden. Lenker herumreißen. Sich mit einem Fuß
auf der Fahrbahn abfangen. Eine Hupe, die darauf ausgelegt war, das
Jüngste Gericht anzukündigen. Kreischende Bremsen.
Zentimeter vor Daniel kam das Auto zum Stehen. Die Motorhaube mit dem
großen Stern sah aus, als würde sie sich in ihn verbeißen
wollen. Luxuriöse GL-Klasse. Der Fahrer schimpfte lauthals und
klopfte sich mit der Handfläche gegen die Stirn. Dabei hatte
Daniel Vorfahrt. Rechts vor links, verdammt. Verwirrt zog Daniel sein
Fahrrad zur Seite. Der Motor knurrte gefräßig und das Auto
fuhr weiter.
Daniel
wusste: Wäre er ein paar Sekunden zuvor überfahren worden,
mit dem blutigen Messer im Rucksack, mit Täterwissen, mit den
ganzen Beweisen, die gegen ihn sprachen – er hätte
hundertprozentig wie der Mörder ausgesehen. Wenigstens eröffnet
einem Radfahrer der Zusammenprall mit einer Geländelimousine die
erstklassige Chance, von der ganzen nachfolgenden Scheiße
nichts mehr mitzukriegen. Statistisch gesehen.
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