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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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mehr.«
    Lachen.
Der Stimmenverzerrer machte daraus einen lächerlichen
Geisterbahn-Effekt.
    »Du
musst es nicht machen, wenn du nicht mehr angerufen werden willst.
Ich will ja niemandem zur Last fallen.«
    »Nein,
schon okay. Ich hol das Handy.«
    »Mach
einfach, was ich dir gesagt habe, wenn du dein Töchterchen
wiedersehen willst.«
    »Gut.«
    »Und
vergiss nicht, dieses Handy dort reinzulegen. Du weißt ja
mittlerweile wie das läuft.«
    »Ja,
weiß ich.«
    Der
Ein-Euro-Markt war angehäuft mit ungeliebten Waren aus
Konkursverkäufen. Dazwischen ein älteres Ehepaar und eine
junge Frau mit Punk-Frisur. An der Kasse lümmelte eine
überblondierte Mittvierzigerin, die in einer Frauenzeitschrift
las. Daniel fand die Gitterbox mit den ausrangierten Maskottchen
einer vergangenen Fußball-WM sofort. Ein grünhaariger
Leopard mit weißem Trikot. Die Stofftiere fühlten sich an,
als würde man von ihnen sofort einen Allergieschub bekommen.
Daniel wühlte mit beiden Händen zwischen ihnen herum. Er
fand das Mobiltelefon auf dem Boden der Gitterbox. Ein Handy aus der
Zeit, in der in Deutschland noch Telefone hergestellt wurden. Daniel
steckte das Handy ein und versenkte das unförmige
Antennen-Mobilteil zwischen den grünhaarigen Leoparden. Eilig
verließ er den Ein-Euro-Markt. Die Kassiererin schaute ihm
gelangweilt hinterher.
    Das
Handy klingelte.
    »Ja.«
    »Fahr
zur Radaranlage.«
    »Was
soll ich denn da?«
    »Fahr
einfach hin.«
    Daniel
fuhr auf dem Radweg zurück. Vorbei am Wertstoffhof, durch
Neubauviertel, über Feldwege. Immer am Limit. Immer so schnell
er konnte. Man konnte die Mittelgebirgslandschaft mögen, weil es
viel bergab ging. Oder sie wegen ihrer Steigungen verachten. Daniel
strampelte ohne Blick für die Landschaft einfach hindurch. Als
er den kleinen Wald durchquert hatte, den alle nur den
»Bundeswehr-Wald« nannten, blieb er stehen. Von der
kleinen Anhöhe aus bot sich Daniel ein Panorama menschlicher
Zivilisation: ein Autofriedhof, eine Großschlachterei und die
Radaranlage. Von rechts nach links. Die Radaranlage sah mit ihren
Türmen und Kuppeln aus, wie man sich in den Sechzigerjahren wohl
eine Marskolonie vorgestellt hatte. Ein Relikt aus einer Zeit, in der
es noch einen Vorteil versprochen hatte, Funkkontakt zwischen Panzern
abzuhören. In Ländern, die mittlerweile verschwunden waren.
Heute wurden Kriege im Internet entschieden.
    Das
Telefon klingelte.
    »Wie
findest du die Aussicht?«
    »Beschissen.
Was soll ich hier? Ich kann mir kaum vorstellen, dass du in der
Radaranlage auf mich wartest.«
    »Ich
wollte nur mal überprüfen, ob du kooperativ bist.«
    »Ich
bin scheiße noch mal kooperativ!«
    »Hätte
ja sein können, dass dir jemand folgt.«
    »Mir
folgt keiner.«
    »Fahr
zum stillgelegten Schotterwerk westlich von dir. Es ist direkt am
Steinbruch.«
    »Okay,
kenne ich. Du lässt mich Umwege fahren.«
    »Ja.
Das hat System. Komm.«
    Jedes
Mal, wenn Daniel in die Pedale trat, sah er ein neues Bild seiner
Tochter vor sich. Das Foto, das die Hebamme nach der Geburt gemacht
hatte. Lea schokoladenverschmiert vor ihrem ersten Eisbecher.
Juchzend auf dem Karussell. Lea als Raupe beim
Kindergarten-Sommerfest. Lea mit Zuckertüte am ersten Schultag.
Mit Zahnlücken. Mit Zöpfen.
    Das
Handy klingelte.
    »Was
siehst du?«
    Daniel
sah sich um. Er war im Tal angekommen. Ein gelbes Rapsfeld. Ein
Fischteich mit einem gelangweilten Entenpärchen. In einiger
Entfernung ein Windrad. Weit genug weg, um es noch nicht zu hören.
    »Nichts.
Landschaft.«
    »Du
bist Soldat. Dir fällt auf, was sich bewegt.«
    »Zwei
Enten auf einem Teich.«
    »Gut.
Schau genau hin.«
    Daniel
sah auf den Fischteich. Er konnte den Anrufer atmen hören. Mit
einem plopp zerplatzte die männliche Ente. Federn
schwebten in der Luft. Der Erpel trieb zerfetzt im Teich. Den Kopf
unter der Wasseroberfläche, während ein Bein in die Luft
ragte. Die Entenfrau war losgeflattert und ein paar Meter weiter
wieder gelandet. Sie starrte auf den aus dem Wasser ragenden
Entenfuß.
    Verdammt,
dachte Daniel, ich habe nicht mal einen Schuss gehört.
    »Hast
du das gesehen?«, fragte der Entführer.
    »Ja.
Guter Schuss.«
    »Stimmt.«
    »Das
muss ein super Gewehr sein.«
    »Ja.
Fahr jetzt weiter zum Schotterwerk. Denk dran, was du gesehen hast.«
    Aus
allen Poren schwitzend kam Daniel am Schotterwerk an. Er hatte die
schnellste Radfahrt seines Lebens hinter sich. Fitness. Ausdauer.
Endlich war das tägliche Training nicht nur für den Kopf
wichtig.

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