Kriegsgebiete
Rainer. »Du
kannst deine Tochter nicht beschützen. Dabei hattest du genug
Gelegenheit dazu. Ich hatte keine Gelegenheit, meinen Sohn zu
beschützen.«
»Warum
hast du mir nicht gesagt, dass du der Vater von Sven bist? Wir hätten
reden können.«
»Ach.
Reden. Hätte das mein Kind wieder lebendig gemacht? Der
Bestattungsunternehmer hatte uns empfohlen, den Leichnam nicht mehr
anzuschauen. Meine Ex-Frau hat es nicht gemacht, die Drecksschlampe.
Angeblich wollte sie Sven in Erinnerung behalten, wie er lebendig
ausgesehen hatte. Ich ließ den Sargdeckel öffnen. Ganz
allein stand ich vor ihm. Kein Gesicht mehr da. Das hätte jeder
sein können. Es war nur noch Fleisch. Fehlendes Gewebe.
Überreste. Reden. Das fällt jemandem wie Hamann ein. Der
hat eine Uniform fürs Reden getragen. Andere tragen Uniform fürs
Kämpfen. Wie Sven. Du warst sein direkter Vorgesetzter. Du hast
ihn sterben lassen.«
»Wir
hatten Befehle von oben.«
»Ich
weiß, wer die gegeben hat. Die kommen später dran.«
»Du
kannst es nicht der ganzen Welt heimzahlen.«
»Ich
fang mit dir an. Du warst sein Vorgesetzter. Und was bist du jetzt?
Der Überlebende. Wie fühlt man sich, wenn alle Kameraden um
einen herum sterben?«
»Man
fühlt sich scheiße. Verantwortlich. Ich hab mich auch für
Sven verantwortlich gefühlt.«
Rainer
lachte.
»Lügner.
Aber ich sehe dir das nach. So was fällt einem ein, wenn man
Menschen retten will – Menschen, die einem nahestehen –
aber hilflos ist.«
»Das
ist keine Lüge. Man erholt sich nur schlecht vom Sterben. Vom
erfolglos Kämpfen.«
Mit
einer schnellen Bewegung steckte Rainer die Pistole ins Holster und
zog das NATO-Kampfmesser aus seinem Gürtel.
»Jetzt
bist du für die beiden verantwortlich. Für deine Tochter.
Für deinen Freund. Du hast sie in die Scheiße geritten.
Mal sehen, ob du es diesmal besser machst.«
»Immerhin
sichere ich keinen Frieden. Oder Zugang zu den Ölreserven. Oder
eine Weltordnung. Ich kann sehen, wofür ich kämpfe.
Menschen, die ich mag.«
»Das
Kämpfen ist vorbei für dich. Du bist ein Invalide. Ein
Psycho.«
»Vielleicht.
Heute werden wir den Grad meiner Behinderung feststellen.«
»Da
gibt es nichts mehr festzustellen.«
»Sven
rannte einfach aus dem Eagle raus.«
»Du
warst zu langsam.«
»Vielleicht
wollte er jemandem etwas beweisen.«
»Du
hättest die Befehle geben müssen.«
»Vielleicht
wollte er seinem Vater etwas beweisen.«
Rainer
zog an Maiks Haaren. Dessen Hals spannte sich an.
»Mit
deinem Psycho-Gequatsche kommst du bei mir nicht durch.«
Die
Spitze des Messers bohrte sich in Maiks Unterkiefer.
»Wo
hast du das Töten gelernt?«, fragte Daniel.
»KSK.
Auslandseinsätze in Bosnien und im Kosovo. Meine Kameraden hatten Anstand. Ich habe überlebt. Alle anderen auch.«
»Warum
mussten die Frauen sterben? Die waren doch unschuldig. Zivilisten.«
»Das
waren Nutten, die sich mit Kriegsgegnern eingelassen hatten, während
mein Sohn für sie sterben musste. Damit sie nicht verschleiert
durch die Stadt laufen müssen. Oder gesteinigt werden. Das
konnte ich nicht akzeptieren. Dass die Demos abhalten, während
mein Junge in einem Sarg mit einer Flagge drüber heimkommt. Wo
bleibt da die Wertschätzung? Die Scheißpazifisten sollen
ruhig mal spüren, wie sich Schmerz anfühlt. Die müssen
das lernen. Das verstehst du doch, oder?«
»Ich
habe mich irgendwann für die Zivilisation und gegen die Barbarei
entschieden.«
»Du
bist ein Weichei. Das Schönste ist: Am Ende wird es so aussehen,
als hättest du sie umgebracht. Die Frauen mit ihren
friedliebenden Liebhabern. Was wollten die eigentlich von diesen
eierlosen Gestalten? Sex mit Pazifisten kann ich mir überhaupt
nicht vorstellen. Und es gibt gute Gründe, seinen Therapeuten
umzubringen, wenn man ein Serienmörder ist. Natürlich steht
er unter Schweigepflicht, aber in so einem schwerwiegenden Fall kann
man schon mal einen anonymen Hinweis geben, nicht wahr? Schaut nicht
gut aus für dich. Jeder wird dich für den Mörder
halten, aber dein Ruf ist sowieso schon ruiniert. Unfähig im
Krieg. Zivil ein Psycho, der seine Familie an die Wand gefahren hat.
Wie findest du das? Ich finde es ziemlich gut. Wenn man ins Feld
zieht, braucht man einen Plan. Den hattest du nie. Der General, der
eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf viele Berechnungen an.
Der General, der verliert, stellt vorher kaum Berechnungen an.«
» Sunzi.
Ich kenne das Zitat. Seine Armee hat gegen eine zehnfache
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