Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
Vom Netzwerk:
Daniel lehnte das Rad an eine Betonwand, die ursprünglich
zu einem Haus gehört haben musste, weil die Wand ein Fenster
hatte. Das Haus war nicht mehr da. Nur noch Wand und Fenster. Und
großflächige Graffitis von Jugendlichen, die ihren Namen
nicht nur im Internet hinterlassen wollten.
    Neben
dem steilen Weg zum eigentlichen Steinbruch erinnerte sich ein
verfallenes Bürogebäude wahrscheinlich selbst nicht mehr an
die Zeit des Diabas-Bergbaus. Das Haus war so hoffnungslos verfallen,
dass man sich dazu keine besseren Tage vorstellen konnte. Die ersten
Birken hatten bereits von den Mauern Besitz ergriffen. Beherrscht
wurde das Areal von einem grauen Betonkubus. Eine Industrieruine. Ein
Mausoleum. Viel Beton mit Löchern. Irgendwann einmal mochten
große Metalltüren davor angebracht gewesen sein. Daniel
ging auf die Löcher zu. Dahinter wartete sein Feind auf ihn.
Daniel konnte den Hass spüren. Mit jedem Schritt wuchs in Daniel
ein großes haariges Ding. Eine nervöse Mischung aus
Aufregung, Brechreiz, Zittern und Kampfbereitschaft. Der Magen
katapultierte Säure nach oben. Der Darm revoltierte. Schweiß
strömte aus allen Poren. Die Kleidung klebte ihm am Körper.
Sein Angstmanagement war voll im Arsch. Furcht kletterte an jedem
einzelnen Körperhärchen nach oben.
    Daniel
betrat durch eines der kolossalen Tore den Betonbau. Eine große
Halle. Ein Luftzug wehte beständig hindurch. Leise.
Gleichbleibend. Teilnahmslos. In der Mitte zwei riesige vertikale
Mühlräder. Der aktive Staub, den die Mühle bei ihrer
Arbeit erzeugt hatte, war untrennbar verbunden mit dem passiven
Staub, der sich seit der Schließung des Schotterwerks auf ihr
abgesetzt hatte. Weiter hinten eine mächtige Schredderanlage.
Ein gelbes Rutschgefahr-Warnschild am Aufgang der Maschine hob sich
deutlich vom Rost ab. Daniel erinnerte die Ruine mit ihren
verlassenen Maschinen-Giganten an einen Schauplatz aus Der
Wüstenplanet .
    Daniel
glaubte, Atmen zu hören. Tief unter dem beständigen
Luftzug. Einen Moment lang war er sich nicht sicher, ob ihm nicht
seine eigenen während der Radfahrt heftig beanspruchten Lungen
einen Streich spielten. In seinem Brustkorb schienen sich die
gesamten Lungenbläschen neu zu verteilen. Daniel versuchte,
seinen  Körper unter Kontrolle zu bekommen. Wischte Schweiß
aus den Augen. Hielt den Atem an. Tatsächlich machten die
Lungenbläschen Pause. Er hörte. Ja, da war es wieder.
Daniel war sich sicher. Das Atmen kam nicht von ihm.
    »Ich
bin allein«, sagte er.
    Erst
nichts. Dann Flüstern. Unverständlich. Wieder nichts.
Endlich Bewegung.
    Ein
dünner, vollkommen nackter Mann zog einen großen
Leinensack hinter den Mühlrädern hervor. Noch bevor sich
der dünne Mann aufrichtete, wusste Daniel, dass er seinen Freund
Maik vor sich hatte. Obwohl ihm die langen Haare ins Gesicht hingen
und man einen nackten Mann nicht an seiner Kleidung erkennen konnte.
Nackt ähnelten sich alle Menschen mit dem gleichen Körperbau.
Die nicht zusammengehörenden Bewegungen passten aber nur zu
Maik. Als wäre bei einer Trickfilmfigur jedes einzelne
Körperteil separat animiert worden.
    »Tut
mir leid«, sagte Maik.
    »Mir
auch«, antwortete Daniel.
    Sie
standen sich eine Weile gegenüber. Daniel konnte nicht
abschätzen wie lange. Vielleicht zehn Sekunden. Oder zwanzig. 
Eine halbe Minute. Es gab Situationen, in denen man der Zeit am
liebsten einen guten Psychotherapeuten empfehlen würde, so
neurotisch wie sie drauf war.
    Maik
sah um Jahre gealtert aus. Als hätte jemand seine
Vinyl-Plattensammlung mit einem Bulldozer zermalmt. Erbärmlich.
Erniedrigt. Nackt. Seine Schultern waren nach unten gedrückt.
Wie ein Gefangener auf den Fotos aus einem Foltergefängnis.
    »Und
jetzt?«, fragte Daniel. »Wie geht’s weiter?«
    Rainer
kam in Tarnuniform mit einer auf Maiks Kopf gerichteten Pistole
hinter dem Mühlstein hervor. Daniel erkannte die Waffe sofort.
Heckler & Koch P12.
    So
eine hätte er jetzt auch gerne gehabt, aber die Pistole war den
Fernspähkräften der Heeresaufklärungstruppe und dem
KSK, dem Kommando Spezialkräfte, vorbehalten. Präzise,
robust, geringer Rückstoß. Zwölf Patronen des
Kalibers 45.
    Als
Rainer neben Maik stand, richtete er die Waffe kurz auf Daniel. Er
lachte. Sofort zielte er wieder auf Maik.
    »Du
bist ein Scheißstiefvater«, sagte Daniel.
    Der
Sack neben Maik zappelte. Unverständliche Laute kamen daraus
hervor.
    Gut,
dachte Daniel, sie ist am Leben.
    »Und
du bist ein Scheißvater«, antwortete

Weitere Kostenlose Bücher