Kriminalgeschichte des Christentums Band 03 - Die Alte Kirche
Milch der seligsten Jungfrau floß«, etwas »von ihren Haaren, von ihrem Hemd, von ihren Schuhen« u.a. Die Wittenberger Schloßkirche besitzt 1509 »von der Milch der Jungfrawen Mariae 5 Partickel, von den Haaren Mariae 4 Partickel, von dem Hembd Mariae drey Partickel« usw. Man bedenke: Wittenberg besaß in jenem Jahr immerhin 5005 Reliquien, die meisten von Kurfürst Friedrich dem Weisen (!) aus dem »Heiligen Land« importiert; bis 1522 war für den weisen Fürsten ein eigener Einkäufer in Venedig tätig, Doch noch inmitten des Jahrhunderts der historischen Aufklärung führten die bis heute in München wirkenden Jesuiten eine eigene »Andacht zum Haarkamm der Jungfrau Maria« ein, behaupteten sie, die Verehrung der Haare Mariens mache kugelsicher: »Als hing ein Wollensack über dich, wirst mitten im Kugelregen stehen ...« Und verherrlichten die haarige Mariengeschichte auch in einem Gedicht, dessen erste Strophe genügen dürfte:
»Gott der alle Häärlein zählet,
Hat ihm diese auserwählet,
Mir seynd diese wenig Häärlein
Werther drum als alle Perlein« 165 .
Nur unter einem winzigen Aspekt kann dieser kurze Vorausblick die Verdummung der Christenheit durch zwei Jahrtausende andeuten. Bietet doch gerade der Marienkult historisch gesehen – und anders sehen wir hier nicht! – einen Anblick dar, bei dem einen, wie Arthur Drews klagt, »der Menschheit ganzer Jammer anfaßt. Es ist eine Geschichte des kindlichsten Aberglaubens, der kecksten Fälschungen, Verdrehungen, Auslegungen, Einbildungen und Machenschaften, aus menschlicher Kläglichkeit und Bedürftigkeit, jesuitischer Schlauheit und kirchlichem Machtwillen zusammengewoben, ein Schauspiel, gleich geschickt zum Weinen wie zum Lachen: die wahre göttliche Komödie ...« 166
Wallfahrt im vorchristlichen Judentum
Auch im alten Israel blühte das Wallfahrtswesen.
Beliebte Pilgerziele waren Silo, Betel, Gilgal, Beerseba. Man betete und spendete, opferte Mehl, Wein, Rinder. Es kam häufig zu Freßgelagen und Trunkenheit (wie heute noch auf ungezählten katholischen Kirchweihfesten, wenn da auch nicht gerade in den Kirchen, aber gleich daneben). Zeitweise gab es, wie häufig an phönizischen und syrischen Pilgerstätten, sogar kultische Prostitution. »Ja, kommt her nach Bethel und treibt Sünde, und nach Gilgal, um noch viel mehr zu sündigen«, eifert der Prophet Amos und warnt: »Besucht nicht Bethel! Wallfahret nicht nach Gilgal! Und zieht nicht nach Beerseba«. (Manche Bibeln gaben freilich Amos 2,7 wieder: »der Mann geht mit seinem Vater zum
üppigen Mahle«,
wo statt dessen Mädchen, Dienerin stehen müßte und gewöhnlich auch steht.) 22
Der Hauptwallfahrtsort war selbstverständlich das Zentralheiligtum Jerusalem, wo sich die jüdische Priester macht ballte (vgl. I 100 ff, bes. 102 f).
Die Wallfahrt nach Jerusalem wurde für männliche Israeliten – bei Frauen stand es in deren Belieben – vom 13. Lebensjahr an lange Zeit obligatorisch. (Später machte der Islam auch die Wallfahrt nach Mekka, die berühmteste, rituell genau geregelte, zur Pflicht, meist damit verbunden die allerdings freiwillige nach Medina, zum Grab Mohammeds.) Bei weiter Entfernung mußten die Israeliten wenigstens einmal im Jahr zum Passa, Osterfest, erscheinen, bei näherem Wohnen außerdem noch zu Pfingsten, Laubhütten, sowie zum Versöhnungstag. Alle anderen Jahwetempel außerhalb Jerusalems erkannten die dortigen Priester nicht an. Darf es doch, schreibt Philon von Alexandrien, der jüdisch-hellenistische Philosoph, nur ein Heiligtum geben, »da es auch nur einen Gott gibt. Er hat auch denen, die zu Hause opfern wollen, dieses nicht gestattet, gebietet ihnen vielmehr, sich aufzumachen von den Enden der Erde her und dies Heiligtum aufzusuchen«. Fast überall gipfelt Religion eben auch im Geschäft 23 .
Wochenlang besserte man in Palästina, bevor sich die Hauptmasse der Pilger heranwälzte, die Wege aus, setzte die Brücken instand, öffnete die Brunnen. Erst recht richtete man in Jerusalem Straßen und Plätze her. Und strömten auch nicht, wie Flavius Josephus gewaltig übertreibend behauptet, 2700000 Juden zur Zeit Neros zum Passa herbei, darf man da doch, bei 55000 Einwohnern, normal mit beträchtlich mehr als doppelt so vielen Pilgern rechnen. Sie kamen aus fast allen Provinzen des Oströmischen Reiches und niemand durfte mit leeren Händen erscheinen. Denn rückte man auch die Religion in den Mittelpunkt, kamen da täglich viele Tausende zu Wasser und
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