Kriminalgeschichte des Christentums Band 03 - Die Alte Kirche
Umwelt kaum eine Parallele gibt. Vielmehr sind die kyrio- oder christozentrischen Erziehungsgedanken der Bibel und die anthropozentrische Paideia der Hellenen von vornherein Gegensätze. Auch tritt im Neuen Testament, wie schon im Alten, das Züchtigungsdenken stärker hervor. »Wir leben als die Gezüchtigten und doch nicht zu Tode gepeinigt«, schreibt Paulus. Und der auf seinen Namen gefälschte 1. Brief an Timotheus spricht von zwei »Ketzern«, Hymenäus und Alexander, »die ich dem Satan übergeben habe, damit sie durch seine Züchtigung das Lästern verlernen«. »Denn auch unser Gott«, wie es hinsichtlich 5. Mos. 4,24 im Hebräerbrief heißt, »ist ein verzehrendes Feuer«. (Sieben Verse weiter liest man bei Moses: »Denn der HERR, dein Gott, ist ein barmherziger Gott« – wie man's braucht.) 19
Die Kirchenväter führen diese biblische Tendenz fort. Bei Irenäus, dem Schöpfer einer ersten eigentlichen Erziehungstheologie, bei Clemens Alexandrinus, Origenes, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa wird der Gedanke einer göttlichen Paidagogia häufig erörtert, wird Gott zum eigentlichen Erzieher. Ergo muß auch alle Erziehung in erster und letzter Linie wieder Gott gelten, muß er ihre Aufgabe sein. So lehrt Origenes, »daß wir alles Sinnliche und Zeitliche und Sichtbare gering achten und alles tun müssen, um ... zum Leben mit Gott und mit den Freunden Gottes zu kommen«. So fordert Johannes Chrysostomos von den Eltern, »Kämpfer für Christus« zu erziehen und verlangt das frühzeitige und dauernde Lesen der Bibel. So schreibt Hieronymus, der einmal ein Kind kleine Rekrutin Gottes und Streiterin Christi nennt: »Wir wollen uns nicht zwischen Christus und der Welt gleichmäßig aufteilen. Statt der kurzen und hinfälligen Güter soll uns vielmehr ewiges Glück zuteil werden«. Und sein wichtigster pädagogischer Gesichtspunkt: »Lasset uns die Dinge auf Erden kennen, deren Kenntnis für uns im Himmel fortdauert«. Die »gesamte Erziehung wird der Christianisierung eingeordnet« (Ballauff). Auch Kirchenlehrer Basilius hält »nicht für ein wirkliches Gut, was nur weltliche Freude einbringt«. Nur was »die Erlangung eines anderen Lebens« fördere, »das muß man unseres Erachtens lieben und mit aller Kraft anstreben, alles aber, was nicht auf jenes Leben abzielt, als wertlos außer Betracht lassen« 20 .
Solche Erziehungsgrundsätze, die »
alles
«, was nicht einem vermeintlichen Leben nach dem Tod gilt, einem Wahn – und wenn es kein Wahn wäre! –, als »
wertlos
« erklären, sind sogar biblisch, sogar durch Jesus selbst begründet: »So jemand zu mir kommt und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, und auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein«! Man erwäge das Unheil, das seit zweitausend Jahren
allein
dies Wort bewirkt hat – es ist unausdenkbar grauenvoll.
Wie im Alten, im Neuen Testament, so spielt auch bei den Kirchenvätern der Gedanke der Züchtigung immer wieder eine wichtige Rolle, und er wird sie in der christlichen Erziehung durch zweitausend Jahre spielen – mit den bekannten Folgen.
Clemens Alexandrinus betont unermüdlich die pädagogische Bedeutung der Strafe: ein Erziehungswerk des lieben Gottes, das noch im Jenseits fortgesetzt wird; wobei Clemens eine förmliche Stufenleiter göttlicher Zurechtweisungen entwirft, beginnend beim gütigen Zuspruch und endend beim Feuer. Auch für Origenes ist die Strafe stets ein Erziehungsmittel, eine Wohltat geradezu. Der Sünder verdankt sie der Güte Gottes, der derart den Menschen heilen will. Auch für Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos sind Gottes Strafen und Gerichte nichts weiter als Arzneien. »Merket auf: ich will euch echte Weisheit lehren! Warum beklagen wir die Gezüchtigten, aber nicht die Sünder? ... Denn was die Arzneien, was das Schneiden und Brennen von Seiten des Arztes, das sind die Züchtigungen von Seiten Gottes« 21 .
Kirchenlehrer Augustinus, ein versierter Zyniker, um nicht zu sagen Sadist (vgl. I 480 ff, bes. 483 ff), empfindet auch den Tod von Kindern für die Eltern nur als nützlich, als heilsame Züchtigung. »Warum soll das nicht geschehen?« fragt der gute Hirte. »Einmal vorüber, trifft es die Kinder nicht mehr, den Eltern aber kann es nur nützen, wenn sie durch zeitliche Niederlagen verbessert werden und sich entschließen, richtiger zu leben«. Etwas erinnert dies an die augustinische Rechtfertigung des Krieges: »Es ist ja, das weiß ich, noch niemand
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