Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
das Land zwischen Enns und Donau als »pannonische Mark«.
Die Awaren waren 788 zur Rettung Tassilos mit zwei Armeen nach Bayern und Italien vorgedrungen, aber zu spät gekommen und überall zurückgeschlagen worden. Viele Tausende von ihnen krepierten auf den Schlachtfeldern oder kamen fliehend in der Donau um. Und 791 stieß Karl, während gleichzeitig italienische Truppen unter dem Herzog von Istrien von Südwesten ins Awarenreich einfielen, mit zwei weiteren großen Truppenkontingenten nach Ungarn vor. Weit und breit verwüstete er das Land bis zur Raab – nicht ohne alles auch entsprechend kirchlich vorbereitet zu haben.
»Mit Gottes Hilfe« hatte es, wie stets, begonnen. Und als man am 5. September an die Enns kam, die Grenze zu den Awaren, hielt man erst drei Tage lang Bittgänge, wobei »alle«, wie Karl der Gattin Fastrada schreibt, »barfuß« mitgegangen seien. Dazu kamen Gottesdienste über Gottesdienste. Jeder Bischof und Priester hatte drei Messen, jeder Kanoniker und Mönch drei Psalter zur »Abwendung der Kriegsnot« (Ahlheim) beizusteuern, die man ja gerade über weite Gebiete zu verbreiten begann. Das Ganze förderte noch allgemeines Fasten. Doch davon konnte man sich bereits loskaufen – erwarb man die »Licenz« des Weintrinkens oder Fleischverzehrs gegen Geld. Mit alldem erstrebte man »Gottes Trost«, schreibt der Reichsannalist, »für die Rettung des Heeres und die Hilfe unseres Herrn Jesus Christus und für den Sieg und die Rache an den Awaren«. Über die kommt denn auch bald »vom Herrn ein Schrecken«, weil eben »Christus sein Volk führte« – und der allerchristlichste König, darf man ergänzen; begleitet von seinem Erzkapellan, dem Bischof von Metz, Angilram, der dabei starb, dem Bischof Sindpert von Regensburg, der dabei fiel, den Bischöfen Arno von Salzburg, Atto von Freising sowie vielen anderen Klerikern. Sie alle machten sich schließlich ans fromme Werk – »eine ungeheure Arbeit wurde geleistet, die den Samen des Christentums dort zum Keimen brachte, wo das Schwert Karls des Großen die Furchen aufgepflügt hatte« (Daniel-Rops). 36
Da die Awaren aber sich keiner Feldschlacht stellten, da das wald- und sumpfreiche Land die Offensive hemmte und zudem im Heer eine Männer, vor allem jedoch neun Zehntel der Pferde, Tausende von Tieren hinwegraffende Seuche ausbrach, die jede weitere Verfolgung unmöglich machte, mußte die erste Attacke entscheidungslos abgebrochen werden. Immerhin war ein Teil-, ein Ersterfolg erzielt. Immerhin soll Karl – der hier ja »sichtlich einen heiligen Krieg« führte, »an dessen Ende nur die völlige Besiegung und Bekehrung des Feindes stehen konnte« (Kalckhoff) – eine gewaltige Beute aus seinem Sakralunterfangen weggeschleppt haben sowie eine große Menge von Gefangenen.
Auch gab er nicht nach. Im nächsten Jahr, 792., ließ er eine bewegliche Schiffsbrücke herstellen, um die Donau leichter überqueren zu können. Und 793 befahl er, durch einen »großen Graben«, den »Karlsgraben«, den Main mit der Donau zu verbinden, das Zentrum Frankens mit dem Südosten – im abendländischen Frühmittelalter der einzig bekannte Versuch (sicher vorwiegend aus strategischen Gründen) eines Kanalbaus, der freilich durch fortgesetzte Regenfälle und an technischen Schwierigkeiten scheiterte. 37
795 griffen fränkische Truppen unter Karls Sohn Pippin, Unterkönig in Italien, und dem Markgrafen Erich von Friaul erneut die Awaren in Südungarn an. Dabei kam es bei diesen zu einer Empörung und Ermordung ihrer Fürsten. Der Haupt-»Ring« (kürijän, Lager), die wichtigste Festung im Landesinnern, wurde erobert, die awarische Königsburg geplündert, eine ungeheure, jahrhundertelang aufgestapelte Menge an Gold und Silber, Waffen und Schmuck geraubt und an Karl nach Aachen übersandt, der einen Teil davon mit »freigebiger Hand« den Bischöfen spendete, bis hinüber nach England, auch dem Herrn Papst, ihm sogar »einen großen Teil«. Die ganze abendländische Christenheit erfreute sich »an dem durch Christi Gnade erhaltenen Schatze«.
Und bald erfreute sie sich schon wieder. Denn bereits im nächsten Jahr, als der Tudun, ein Awarenfürst, sich in Aachen taufen ließ, drang Karls Sohn Pippin, begleitet wiederum von Bischöfen, den Oberhirten von Salzburg, Passau, Aquileja, von Italien aus in den »Ring« ein, den er zerstörte. Zuvor aber hatte er noch immer riesige Beute herausgeholt, Kostbarkeiten und Edelmetalle, und gleichfalls nach Aachen
Weitere Kostenlose Bücher