Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
englische Soldaten von ihren Offizieren erhielten, längst durch die Militärstrafgesetzgebung verboten. Das Bild dieser Prügelstrafen stieß uns ab und erinnerte uns daran, dass nach der Revolution von [17]89 mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht Auspeitschungen in der Armee abgeschafft worden waren … Das französische Heer besteht aus einer speziellen Schicht von Bürgern, die den Militärgesetzen unterliegen. Diese sind streng, werden jedoch gleichermaßen auf alle Ränge angewandt. In England ist der Soldat im Grunde nichts als ein Leibeigener und damit lediglich das Eigentum der Regierung. Sie treibt ihn durch zwei widersprüchliche Impulse an. Der erste ist der Stock, der zweite ist das materielle Wohl. Die Engländer haben einen Instinkt für Komfort entwickelt; gut in einem bequemen Zelt zu leben, mit einer schönen großen Portion Roastbeef, einer Flasche Rotwein und einem reichlichen Rumvorrat – das ist das Desideratum des einfachen englischen Soldaten. Es ist die entscheidende Vorbedingung seiner Tapferkeit … Wenn aber diese Vorräte nicht rechtzeitig eintreffen, wenn er draußen im Schlamm schlafen, Feuerholz suchen und ohne Rindfleisch und Grog auskommen muss, scheut der Engländer die Schlacht, und Demoralisierung breitet sich in den Reihen aus. 17
Die französische Armee war der britischen in vieler Hinsicht überlegen. Ihre Offiziersakademien hatten eine ganz neue Schicht von Berufssoldaten hervorgebracht, die technisch weiter fortgeschritten, taktisch versierter und auch sozial mit ihren Männern viel vertrauter waren als die aristokratischen Offiziere der Briten. Ausgerüstet mit dem modernen Minié-Gewehr, das mit tödlicher Präzision Schnellfeuer bis zu einer Distanz von 1600 Metern abgeben konnte, wurde die französische Infanterie für ihren Angriffsschwung gefeiert. Insbesondere die Zuaven waren Meister der schnellen Attacke und des taktischen Rückzugs, einer Kampfweise, die sie in Algerien entwickelt hatten. Ihr Mut inspirierte die übrigen französischen Infanteristen, die ihnen ausnahmslos in die Schlacht folgten. Die Zuaven waren erfahrene Soldaten, die auf dem schwierigsten und gebirgigsten Terrain kämpfen konnten, und sie verband ein ausgeprägtes Kameradschaftsgefühl, das sich in Jahren gemeinsamer Schlachten in Algerien (und in vielen Fällen auf den Revolutionsbarrikaden von Paris im Jahr 1848) gebildet hatte. Paul de Molènes, ein Offizier in einem der Spahi-Kavallerieregimenter, die Saint-Arnaud in Algerien angeworben hatte, war der Meinung, dass die Zuaven eine »spezielle verführerische Kraft« auf die jungen Männer von Paris ausübten, die ihnen 1854 in Scharen zuliefen. »Die eindrucksvollen Uniformen der Zuaven, ihre lockere und kühne Erscheinung, ihr legendärer Ruhm – all das verlieh ihnen einen ritterlichen Charme, den man seit den Tagen Napoleons nicht mehr gesehen hatte.« 18
Die Erfahrung der Kämpfe in Algerien war ein entscheidender Vorteil für die Franzosen, verglichen mit den Briten, die seit Waterloo keine bedeutende Schlacht mehr geschlagen hatten und in vieler Hinsicht ein halbes Jahrhundert hinter der Zeit zurückgeblieben waren. Bis zu einem Drittel der 350 000 französischen Armeeangehörigen war in Algerien eingesetzt worden. Dort hatten die Franzosen gelernt, wie wesentlich eine kleine kollektive Einheit für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung auf dem Schlachtfeld war – ein Gemeinplatz für Militärtheoretiker des 20. Jahrhunderts, den Ardant du Picq, ein Absolvent der École spéciale militaire de Saint-Cyr in Fontainebleau bei Paris, als Erster propagierte. Er diente als Hauptmann während der Warna-Expedition und entwickelte seine Ideen durch die Beobachtung der französischen Soldaten im Krimkrieg. Außerdem hatten die Franzosen gelernt, ein Heer auf dem Marsch effektiv zu versorgen – eine Aufgabe, bei der ihre Überlegenheit gegenüber den Briten von dem Moment an, als die beiden Armeen bei Gallipoli landeten, deutlich wurde. Zweieinhalb Tage lang durften die britischen Soldaten nicht von Bord gehen, »weil nichts für sie fertig war«, berichtete William Russell von der Times , der Pionierarbeit leistende Korrespondent, der sich der Expedition in den Orient angeschlossen hatte. Dagegen waren die Franzosen mit einer riesigen Flottille von Versorgungsschiffen beneidenswert gut vorbereitet: »Lazarette, Brot- und Keksbäckereien, Planwagenzüge für die Beförderung von Vorräten und Gepäck – alles Notwendige
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