Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
vielleicht neun oder zehn Jahre alt, die tatsächlich so unbekümmert hinter den Querschlägern herjagten, als wären es Kricketbälle. Die Jungen rannten um die Wette, um sie als Erste zu erreichen, denn der Pascha zahlte eine Belohnung von 20 Pera für jede abgelieferte Kanonenkugel.« Nach Einbruch der Dunkelheit konnte er die Russen in ihren Schützengräben singen hören, und »wenn sie die Nacht zum Tage machten, ließen sie sogar von einem Orchester Polkas und Walzer spielen«.
Unter dem wachsenden Druck seitens des Zaren, Silistra einzunehmen, ließ Paskewitsch zwischen dem 20. Mai und dem 5. Juni über zwanzig Infanterieangriffe ausführen, aber der Durchbruch blieb immer noch aus. »Die Türken kämpfen wie die Teufel«, meldete ein Artilleriehauptmann am 30. Mai. Häufig kletterten kleine Gruppen von Männern die Festungswälle hinauf, nur um von den Verteidigern im Nahkampf zurückgeschlagen zu werden. Am 9. Juni kam es zu einer größeren Schlacht vor den Hauptfestungsmauern, nachdem ein groß angelegter russischer Angriff abgewehrt worden war und die Türken einen Ausfall gegen die russischen Stellungen unternommen hatten. Am Ende der Kämpfe lagen 2000 Russen tot auf dem Schlachtfeld. Am folgenden Tag, verzeichnete Butler,
gingen etliche Stadtbewohner hinaus, schnitten den Gefallenen die Köpfe ab und nahmen sie als Trophäen mit, für die sie hofften eine Belohnung zu erhalten, doch man erlaubte den Barbaren nicht, sie durch die Tore zu bringen. Ein Haufen Köpfe blieb jedoch lange unbestattet direkt vor den Toren liegen. Während wir mit Musa Pascha zusammensaßen, kam ein Rüpel und warf ihm ein Paar Ohren, die er vom Kopf eines russischen Soldaten abgeschnitten hatte, vor die Füße; ein anderer prahlte, ein russischer Offizier habe ihn im Namen des Propheten um Gnade gebeten, er aber habe sein Messer gezogen und ihm kaltblütig die Kehle durchgeschnitten.
Die toten Russen lagen mehrere Tage lang herum, bis die Ortsbewohner ihnen alles geraubt hatten. Auch albanische Irreguläre beteiligten sich an der Verstümmelung und Plünderung der Leichen. Butler bekam diese ein paar Tage später zu Gesicht. Es war »ein abscheulicher Anblick«, schrieb er. »Der Gestank wurde bereits sehr abstoßend. Die Toten im Graben waren alle entkleidet worden und lagen in unterschiedlicher Haltung da: einige als kopflose Rümpfe, andere mit halb herausgerissener Kehle, die Arme im Fallen in die Luft gereckt oder nach oben weisend.« 12
Tolstoi traf am Tag dieser Schlacht in Silistra ein. Er war als Nachschuboffizier beim Stab von General Serschputowski dorthin versetzt worden. Dieser richtete sein Hauptquartier in den Gärten von Musa Paschas Bergresidenz ein. Von diesem ungefährdeten Aussichtspunkt genoss Tolstoi das Schauspiel der Schlacht, das er in einem Brief an seine Tante beschrieb:
Abgesehen von der Donau, ihren Inseln und Ufern, von denen das eine von uns, das andere von den Türken besetzt waren, lagen auch die Stadt, die Festung, die kleinen Forts von Silistria vor einem, wie auf einer flachen Hand. Man hörte die Kanonen und Flintenschüsse, die weder Tag noch Nacht aufhörten, und mit einem Fernrohr konnte man sogar die türkischen Soldaten unterscheiden. Es ist allerdings ein seltsames Vergnügen, zuzusehen, wie sich die Menschen gegenseitig totschiessen und doch setzte ich mich jeden Abend und jeden Morgen auf meinen Wagen und konnte stundenlang zusehen – und das tat nicht nur ich allein. Das Bild war in der Tat grossartig, namentlich in der Nacht. Dann begannen meine Soldaten gewöhnlich die Tranchéearbeiten, die Türken stürzten sich auf sie, um sie daran zu hindern und dann hätte man dieses Feuer sehen und hören müssen. In der ersten Nacht … brachte ich die Zeit damit zu, mit der Uhr in der Hand die Kanonenschüsse zu zählen. Ich zählte auf diese Weise 110 Schüsse in der Minute. Indessen war die Sache in der Nähe nicht so schrecklich. Nachts, wenn nichts zu sehen war, bedeutete es einfach eine Pulververschwendung. Mit über 1000 Schüssen wurden auf beiden Seiten nur etwa dreissig Mann getötet. 13
Paskewitsch behauptete, er sei während der Kämpfe am 10. Juni von einem Geschosssplitter getroffen worden (in Wirklichkeit war er unverletzt), und übergab General Gortschakow das Kommando. Froh darüber, nicht mehr die Verantwortung für eine Offensive tragen zu müssen, die er mittlerweile ablehnte, fuhr er mit seiner Kutsche davon und überquerte die Donau nach Jassy.
Am 14. Juni
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