Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
und sogar jeder Komfort war zur Hand, sobald die Schiffe einliefen. Auf unserer Seite war keine einzige britische Flagge im Hafen zu sehen! Unser großer Marinestaat wurde durch einen einzigen Dampfer repräsentiert, der einem Privatunternehmen gehörte.« 19
Der Ausbruch des Krimkriegs hatte die britische Armee unvorbereitet getroffen. Der Militärhaushalt war seit vielen Jahren gesunken, und erst in den Anfangswochen des Jahres 1852, nach Napoleons Staatsstreich und dem Schock eines möglichen Krieges mit Frankreich, hatte die Regierung Russell im Parlament die notwendigen Stimmen für eine bescheidene Ausgabenerhöhung erhalten. Von den 153 000 Soldaten dienten zwei Drittel im Frühjahr 1854 in fernen überseeischen Teilen des Empire, weshalb in aller Eile Männer für die Schwarzmeerexpedition rekrutiert werden mussten. Ohne das Wehrpflichtsystem der Franzosen war die britische Armee vollkommen auf die Anwerbung von Freiwilligen angewiesen, die mit einem Handgeld gelockt wurden. In den 1840er Jahren war die Zahl der verfügbaren diensttauglichen Männer aufgrund großer industrieller Bauvorhaben und durch Emigration in die Vereinigten Staaten und Kanada stark zurückgegangen, so dass die Armee auf die erwerbslosen und ärmsten Gesellschaftsschichten zurückgreifen musste. Dies waren zum Beispiel die Opfer der irischen Hungersnot, die das Handgeld in ihrer Verzweiflung annahmen, um ihre Schulden zu begleichen und ihre Familien vor dem Armenhaus zu retten. Die wichtigsten Rekrutierungsstätten für die britische Armee waren Pubs, Jahrmärkte und Rennbahnen, wo sich mittellose Männer betranken und verschuldeten. 20
Während der britische Soldat aus den ärmsten Gesellschaftsschichten stammte, rekrutierte man das Offizierskorps hauptsächlich aus der Aristokratie – ein Zustand, der durch den Kauf von Patenten nahezu garantiert wurde. In den höchsten Rängen dominierten alte Gentlemen, die über gute Beziehungen zum Hof, aber wenig militärische Erfahrung oder Fachkenntnis verfügten; es war eine ganz andere Welt als die der professionellen französischen Armee. Lord Raglan war 65, Sir John Burgoyne, der Geniekommandeur des Heeres, 72 Jahre alt. Fünf der höchsten Offiziere in Raglans Hauptquartier gehörten zu seiner Verwandtschaft. Der jüngste, der Herzog von Cambridge, war ein Cousin der Königin. Diese Armee war wie die russische in Bezug auf militärisches Denken und soldatische Kultur noch dem 18. Jahrhundert verhaftet.
Raglan bestand darauf, seine Männer in eng anliegenden Uniformröcken und mit hohen Tschakos in die Schlacht zu schicken. Dies mochte eindrucksvoll ausgesehen haben, wenn sie in strenger Formation auf dem Exerzierplatz marschierten, doch im Kampf erwies es sich als völlig unpraktisch. Als Kriegsminister Sidney Herbert ihm im Mai vorschlug, die Kleiderordnung zu lockern und den Männern vielleicht auch die tägliche Rasur zu erlassen, erwiderte Raglan:
Ich sehe Ihren Vorschlag zur Einführung von Bärten in einem etwas anderen Licht, und es kann nicht notwendig sein, ihn gegenwärtig anzunehmen. Ich habe recht altmodische Vorstellungen und hänge dem Wunsch an, dass ein Engländer wie ein Engländer aussehen sollte, ungeachtet dessen, dass die Franzosen bemüht sind, sich den Anschein von Afrikanern, Türken und Ungläubigen zu geben. Ich habe bei den unteren Schichten in England stets bemerkt, dass es ihrem ersten Begriff von Reinlichkeit entspricht, sich zu rasieren, und ich würde meinen, dass dieses Gefühl auch in unseren Reihen zumeist vorherrscht, wenngleich einige unserer Offiziere die behaarten Männer unter unseren Verbündeten beneiden mögen. Falls ich jedoch, wenn wir zu marschieren beginnen und großer Hitze und Schmutz ausgesetzt sind, feststelle, dass die Sonne Furchen auf den Gesichtern der Männer hinterlässt, werde ich darüber nachdenken, ob es wünschenswert ist, die Vorschriften zu lockern oder nicht, aber lassen Sie uns als Engländer auftreten. 21
Das Verbot von Bärten überdauerte die Julihitze nicht, doch der britische Soldat trug immer noch lächerlich formelle Kleidung, verglichen mit den leichten und schlichten Uniformen der Russen und Franzosen, wie Oberstleutnant George Bell vom 1st (Royal) Regiment klagte:
Den Anzug auf dem Rücken & Kleidung zum Wechseln im Gepäck, mehr brauchen die Männer nicht, doch sie sind trotzdem wie Esel beladen – Mantel und Decke, straffe … Gürtel, die sich wie der Tod an ihre Lungen klammern, ihre Waffen samt
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