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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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denn ohne die Deutschen kann es nichts gegen uns unternehmen … Wenn uns ganz Europa gegenübersteht, werden wir nicht an der Donau kämpfen.
    Das ganze Frühjahr über zögerte Paskewitsch, die Befehle des Zaren zur Belagerung von Silistra auszuführen. Gegen Mitte April hatten 50 000 Soldaten die Donauinseln gegenüber der Stadt besetzt, doch Paskewitsch begann immer noch nicht mit der Belagerung. Nikolaus war wütend über die mangelnde Tatkraft seines Kommandeurs. Obwohl er selbst einräumte, dass Österreich zu den Gegnern Russlands stoßen könne, schickte er Paskewitsch ein aufgebrachtes Schreiben, in dem er ihn ermahnte, den Angriff einzuleiten. »Wenn die Österreicher uns heimtückisch attackieren«, erläuterte er am 29. April, »müssen Sie sie mit dem 4. Korps und den Dragonern abwehren; das wird bestimmt für sie ausreichen! Kein Wort mehr, ich habe nichts mehr hinzuzufügen!«
    Erst am 16. Mai, nachdem die Russen durch dreiwöchige Scharmützel die Anhöhen südwestlich von Silistra in ihren Besitz gebracht hatten, begannen sie mit der Beschießung des Ortes, und selbst dann konzentrierte sich Paskewitsch auf die äußeren Verteidigungsanlagen, einen Halbkreis aus Stein- und Erdwällen mehrere Kilometer von der eigentlichen Festung entfernt. Er hoffte, die Türken zu zermürben, damit seine Männer den Ort ohne große Verluste einnehmen konnten. Die für die Details der Belagerung zuständigen Offiziere wussten freilich, dass dies eine vergebliche Hoffnung war. Die Türken hatten die Monate seit der Kriegserklärung der Hohen Pforte an Russland genutzt, um ihre Verteidigung auszubauen. Ihre Befestigungen waren durch den preußischen Obersten Grach, einen Experten für Verschanzung und Bergbau, erheblich verstärkt worden, und die russischen Kanonen hatten relativ wenig Schaden angerichtet, wenn auch die wichtigste Redoute, der als Arab-Tabia bekannte Erdwall, von russischen Granaten und Minen so zugerichtet wurde, dass man ihn während der Belagerung mehrere Male erneuern musste. Die 18 000 Soldaten, hauptsächlich Ägypter und Albaner, in den türkischen Befestigungen kämpften mit einer verblüffenden Verbissenheit. An der Spitze der osmanischen Einheiten in der Arab-Tabia standen zwei erfahrene britische Artillerieoffiziere, Hauptmann James Butler von den Ceylon Rifles und Leutnant Charles Nasmyth von der Bombay Artillery. »Es war unmöglich, den kühlen Gleichmut der Türken gegenüber der Gefahr nicht zu bewundern«, sagte Butler.
    Drei Soldaten wurden innerhalb von fünf Minuten erschossen, während sie Erde für die neue Brüstung aufschütteten, an der nur zwei Männer gleichzeitig arbeiten konnten, wenn sie einen gewissen Schutz haben wollten; ihnen folgte der am nächsten stehende Zuschauer, der dem sterbenden Mann den Spaten aus der Hand nahm und sich so gelassen an die Arbeit machte, als würde er einen Graben am Straßenrand ausheben.
    Da Paskewitsch einsah, dass die Russen den Befestigungen näher rücken mussten, um sie ernsthaft zu beschädigen, befahl er General Schilder, komplizierte Erdarbeiten einzuleiten, das heißt, Gräben ausschachten zu lassen, damit Geschütze an die Mauern geschoben werden konnten. Die Belagerung entwickelte sich bald zu einem monotonen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dauernden Bombardement durch die russischen Batterien, die durch die Kanonen einer Flussflotte verstärkt wurden. Niemals zuvor in der Geschichte der Kriegführung waren Soldaten so lange derart permanenter Gefahr ausgesetzt. Aber nichts deutete auf einen Durchbruch hin. 11
    Butler führte ein Tagebuch der Belagerung. Er meinte, man habe die Kapazität der schweren russischen Geschütze »stark überschätzt«; die leichtere türkische Artillerie stehe ihnen keineswegs nach, obwohl die Türken alles »auf schlampige Art« erledigten. Laut Butler spielte die Religion eine wichtige Rolle für die türkische Seite. Bei den täglichen Morgengebeten am Stambul-Tor forderte Garnisonskommandeur Musa Pascha seine Soldaten stets auf, Silistra so zu verteidigen, »wie es den Nachfahren des Propheten geziemt«, worauf »die Männer mit dem Ruf ›Lob sei Allah!‹ antworteten«. ** In der Stadt gab es keine sicheren Gebäude, doch die Bewohner hatten Höhlen gegraben, die ihnen tagsüber während der Bombardierung als Zuflucht dienten. Bei Sonnenuntergang sah Butler von den Festungsmauern aus zu, wie die letzte Salve russischer Kanonenkugeln heranflog: »Ich bemerkte mehrere kleine Bengel,

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