Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
schreckliche Szene in einem Brief vom 9. Juni:
Dann wurde ein solches Feuer vom Malachow-Turm eröffnet, wie man es bestimmt noch nie erlebt hat. Flammenwände und Explosionen lösten einander in schnellster Folge ab. Die Russen bedienten die Waffen außerordentlich gut (und das ist mein Gewerbe, ich kann es beurteilen) und feuerten wie Teufel auf die Scharen armer kleiner Zuaven, die durch ihren Schneid an den Rand eines Grabens getrieben worden waren, den sie nicht überqueren konnten, & die nun zögerten, bis sie niedergeschossen wurden. Es war zu viel für sie, und sie schwankten und wichen in den Mamelon zurück; auch dort wurde es zu heiß für sie, und sie mussten sich in ihre eigenen Schützengräben zurückziehen. Verstärkungen trafen in großer Zahl ein. Wiederum stürmten sie in den Mamelon hinein, dessen Kanonen sie bereits unschädlich gemacht hatten, töteten dessen Verteidiger und versuchten erneut, unklugerweise, wie ich glaube, den Malachow zu besetzen. Sie scheiterten ein zweites Mal und mussten umkehren, doch diesmal nur bis zum Mamelon, den sie immer noch halten, nachdem sie ihn mit bewundernswertem Mut eingenommen und zwei- bis dreitausend Tote und Verwundete auf dem Feld zurückgelassen hatten. 55
Unterdessen griffen die Briten die Steinbrüche an. Die Russen hatten dort nur eine kleine Truppe stationiert, denn sie waren sicher, dass sie die Steinbrüche, sollten diese überrannt werden, mit Verstärkungen vom Redan zurückerobern konnten. Tatsächlich nahmen die Briten die Steinbrüche mühelos ein, merkten jedoch bald, dass sie nicht genug Männer hatten, um sie zu halten, während die Russen vom Redan her eine Angriffswelle nach der anderen auf sie starteten. Mehrere Stunden lang führte man einen heftigen Nahkampf, wobei eine Seite die andere aus den Gewehrstellungen vertrieb, nur um dann durch Verstärkungen des Feindes wieder zurückgeworfen zu werden. Um fünf Uhr morgens, als der letzte russische Angriff endlich abgeschlagen war, war der Boden mit Toten und Verwundeten übersät.
Am Mittag des 9. Juni wurde eine weiße Fahne am Malachow gehisst, und eine weitere erschien am Mamelon, nun im Besitz der Franzosen. Damit wurde eine Waffenruhe signalisiert, in der man die Leichen bergen wollte. Die Franzosen hatten enorme Opfer gebracht, um den wichtigen Mamelon und die Weißen Werke einzunehmen: Sie verzeichneten fast 7500 Tote und Verwundete. Herbé begab sich zusammen mit General Failly ins Niemandsland, um die Einzelheiten mit dem russischen General Polusski abzusprechen. Nachdem man ein paar Floskeln gewechselt hatte, »nahm das Gespräch eine freundlichere Wendung – Paris, St. Petersburg, die Härten des vergangenen Winters«, erläuterte Herbé am selben Abend in einem Brief an seine Familie; während die Toten fortgebracht wurden, »tauschten [die Offiziere] Zigarren aus. Man hätte glauben können, wir seien Freunde, die sich inmitten einer Jagd zum Rauchen treffen.« Kurz darauf erschienen einige Offiziere mit einer Magnumflasche Champagner, und General Failly, der die Flasche hatte holen lassen, brachte einen »Trinkspruch auf den Frieden« aus, dem sich die russischen Offiziere von Herzen anschlossen. Sechs Stunden später, als mehrere Tausend Leichen abtransportiert worden waren, wurde es Zeit, die Waffenruhe zu beenden. Beide Seiten durften nachprüfen, dass keiner ihrer Soldaten im Niemandsland zurückgeblieben war, ehe die weißen Fahnen eingeholt wurden; daraufhin feuerte man, wie Polusski vorgeschlagen hatte, eine leere Geschosshülse vom Malachow ab, um die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten anzuzeigen. 56
Nach der Einnahme des Mamelon und der Steinbruch-Gruben war alles bereit für einen Angriff auf den Malachow und den Redan. Er sollte am 18. Juni stattfinden, dem 40. Jahrestag der Schlacht von Waterloo. Man hoffte, dass ein alliierter Sieg zur Heilung der alten Wunden beitragen und den Briten und Franzosen die Möglichkeit geben würde, an jenem Tag ein neues Ereignis zu feiern.
Der Sieg würde zahlreiche Menschenleben kosten. Um die russischen Forts zu stürmen, mussten die Angreifer Leitern mitnehmen und mehrere Hundert Meter bergan über offenes Gelände laufen sowie Gräben und Abattis ******** überqueren – das alles unter schwerem Beschuss durch die russischen Kanonen auf dem Malachow und dem Redan und unter Flankenfeuer von der Fahnenmast-Bastion. Wenn sie die Forts erreichten, würden sie ihre Leitern benutzen müssen, um in den Graben zu steigen und
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