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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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zweite Lichtspur erschien kurz darauf. »Es gibt keinen Zweifel«, sagte der General. »Das ist das Signal. Außerdem ist es besser, zu früh als zu spät zu handeln. Vorwärts, das 97.!«
    Das 97. Regiment eilte voran – und wurde von einem tödlichen Sperrfeuer der Artillerie und der Musketen des Feindes empfangen, denn die Russen warteten gut bewaffnet auf allen Brüstungen. »Mit einem Mal rollte eine mächtige gegnerische Welle auf uns zu«, schrieb Podpalow, der die Szene vom Redan aus beobachtete.
    Bald konnten wir im trüben Licht erkennen, dass der Feind Leitern, Taue, Spaten, Bretter etc. bei sich trug – es sah aus wie ein Ameisenheer auf dem Vormarsch. Sie kamen näher und näher. Plötzlich ertönten unsere Hörner auf ganzer Front, gefolgt vom Donner unserer Kanonen und dem Knallen unserer Gewehre; die Erde bebte, ein dröhnendes Echo erklang, und es wurde so dunkel durch den Pulverdampf, dass man nichts sehen konnte. Als sich der Rauch lichtete, war der Boden vor uns mit den Leichen der gefallenen Franzosen bedeckt.
    Mayran gehörte zu denen, die in der ersten Welle getroffen wurden. Herbé half dem General auf die Beine, der eine schwere Armverletzung hatte, aber nicht zurückweichen wollte. »Vorwärts, das 95.!«, rief er der zweiten Reihe zu. Die Verstärkungen schoben sich vor, doch sie wurden ebenfalls in großer Zahl von den russischen Geschützen niedergemäht. Dies war keine Schlacht, sondern ein Gemetzel. Die Angreifer reagierten instinktiv, ignorierten Mayrans Befehle zum Vormarsch, legten sich auf den Boden und verwickelten die Russen in einen Schusswechsel. Nach zwanzig Minuten, als das Schlachtfeld von ihren Toten übersät war, bemerkten die Franzosen eine Rakete am Himmel: Dies war das eigentliche Signal zum Angriff. 62
    Pélissier hatte die Rakete in dem verzweifelten Versuch abfeuern lassen, den französischen Ansturm zu koordinieren. Doch während Mayran zu früh vorgerückt war, hatten sich Pélissiers andere Generale, die einen späteren Angriff erwartet hatten, nicht rechtzeitig vorbereiten können. Die Männer aus der Reserve wurden vorgeschickt, doch der überraschende Befehl irritierte und verunsicherte sie, und viele »weigerten sich, die Schützengräben zu verlassen, selbst als die Offiziere ihnen mit den härtesten Strafen drohten«, meldete Oberstleutnant Dessaint, der Leiter der politischen Abteilung. Er war der Meinung, dass die Soldaten »eine Vorahnung von der Katastrophe hatten, die sie erwartete«. 63
    Vom Woronzow-Kamm aus konnte Raglan erkennen, dass der ungeordnete französische Angriff zu einem blutigen Fiasko ausartete. Eine französische Kolonne, links vom Malachow, war durchgebrochen, doch ihre Verstärkungen wurden von den russischen Kanonen auf dem Malachow und dem Redan vernichtet. Raglan hätte den Franzosen durch die Beschießung des Redan helfen können, wie es der ursprüngliche Angriffsplan der Alliierten vorsah, doch sein Ehr- und Pflichtgefühl ließ ihm keine andere Wahl, als den Redan sofort, ohne vorheriges Bombardement, zu stürmen, obwohl er, zumal nach den Ereignissen der vergangenen Stunden, gewusst haben dürfte, dass diese Taktik mit einem Desaster und dem sinnlosen Opfer vieler Männer enden würde. »Ich hütete mich stets davor, im selben Moment wie die Franzosen anzugreifen, und ich glaubte, dass eine gewisse Hoffnung auf ihren Erfolg vonnöten war, bevor ich unsere Soldaten einsetzte«, schrieb Raglan am 19. Juni an Panmure, »aber als ich sah, auf welch starken Widerstand sie stießen, hielt ich es für meine Pflicht, ihnen durch meinen eigenen Ansturm zu helfen … Ich bin mir gewiss, dass die Franzosen, wenn unsere Männer in den Schützengräben geblieben wären, ihr Scheitern auf unsere Weigerung, an der Aktion teilzunehmen, zurückgeführt hätten.« 64
    Der britische Sturmlauf begann um 5.30 Uhr. Die Angreifer rannten von den Steinbrüchen und den Schützengräben zu beiden Seiten voran, gefolgt von den Hilfstruppen, die Leitern zur Besteigung der Mauern des Redan trugen. Bald wurde deutlich, dass die Sache hoffnungslos war. »Kaum zeigten sich die Soldaten jenseits der Brüstung ihrer Schützengräben, als sie schon das mörderischste Kartätschenfeuer, das man je erlebt hatte, auf sich zogen«, berichtete Sir George Brown, der den Angriff befehligte. Die erste russische Salve setzte ein Drittel der Briten außer Gefecht. Von den Schützengräben zur Linken beobachtete Codrington die vernichtende Wirkung des Sperrfeuers auf

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