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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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über die Mauern zu klettern – das Ganze unter feindlichem Feuer aus kürzester Entfernung – , bevor sie die Verteidiger auf den Brüstungen überwältigen und die Russen abwehren sollten, die sich hinter weiteren Barrikaden innerhalb der Forts gesammelt hatten, bis Verstärkung eintreffen konnte.
    Die Alliierten einigten sich darauf, dass die Franzosen zuerst den Malachow angreifen würden, und sobald sie die russischen Geschütze zum Schweigen gebracht hatten, sollte die britische Infanterie den Redan stürmen. Pélissier bestand darauf, dass sich die Aktion auf den Malachow und den Redan beschränkte und ein größerer Angriff auf die Stadt unterblieb. Der Sturm auf den Redan war vermutlich überflüssig, denn die Russen würden ihn höchstwahrscheinlich aufgeben, sobald die Franzosen ihre Artillerie vom Malachow her einsetzen konnten. Doch Raglan meinte, es sei unerlässlich für die Briten, irgendetwas zu stürmen, sogar um den Preis unnötiger Verluste, wenn diese Schlacht ihr symbolisches Ziel im Rahmen einer gemeinsamen Aktion am Jahrestag von Waterloo erreichen sollte. Auch hatten sich die Franzosen immer wieder kritisch über das Versäumnis der Briten geäußert, genauso viele Soldaten wie sie auf der Krim in den Kampf zu schicken.
    Man rechnete mit schweren Verlusten. Die Franzosen erfuhren, die Hälfte der Angreifer werde tot sein, bevor sie auch nur am Malachow anlangten. Den Männern in vorderster Front war Geld oder eine Beförderung versprochen worden, um sie zur Teilnahme zu bewegen. Im britischen Lager bezeichnete man die Angreifer als »Forlorn Hope«, abgeleitet von dem niederländischen »Verloren hoop«, was »verlorener Haufen« bedeutet, doch die englische Fehlübersetzung war angemessen. 57
    Am Abend vor dem Ansturm auf den Malachow machten es sich die Franzosen in ihren Biwaks bequem und bereiteten sich, jeder auf seine Weise, auf die Ereignisse des kommenden Tages vor. Manche bemühten sich zu schlafen, andere reinigten ihre Gewehre oder führten Gespräche, und noch andere fanden einen stillen Platz für ein Gebet. Eine bange Ahnung hatte sich ausgebreitet. Viele Soldaten schrieben ihren Namen und ihre Heimatadresse auf eine Karte, die sie sich um den Hals hängten, damit jeder, der sie tot vorfand, ihre Familie unterrichten konnte. Manch einer verfasste einen Abschiedsbrief an seine Angehörigen und übergab ihn dem Armeegeistlichen, damit dieser ihn im Todesfall in die Heimat schickte. Der Pfarrer war beeindruckt von der Ruhe der Männer in diesen letzten Augenblicken vor der Schlacht. Kaum einer schien ihm von Hass auf den Feind motiviert oder von dem Wunsch nach Rache, aufgewühlt durch die Rivalität zwischen Nationen. Ein Soldat schrieb:
    Ich bin gelassen und zuversichtlich, was mich selbst überrrascht. Angesichts einer solchen Gefahr wage ich nur Dir, meinem Bruder, dies mitzuteilen. Es wäre arrogant, es irgendeinem anderen zu gestehen. Ich habe gegessen, um mich zu kräftigen, und ich habe nur Wasser getrunken, denn ich kann die Übererregtheit durch Alkohol in der Schlacht nicht leiden. Sie ist nutzlos.
    Ein anderer notierte:
    Während ich diese Zeilen an Dich schreibe, ist der Schlachtruf zu hören. Der große Tag ist gekommen. In zwei Stunden werden wir unseren Sturmangriff beginnen. Ich trage voller Hingebung die Medaille der Heiligen Jungfrau und das Skapulier, das ich von den Nonnen erhalten habe. Ich fühle mich ruhig und sage mir, dass Gott mich schützen wird.
    Ein Hauptmann schrieb:
    Ich reiche Dir die Hand, mein Bruder, und möchte Dich wissen lassen, dass ich Dich liebe. Nun, mein Gott, erbarme Dich meiner. Ich vertraue mich aufrichtig Deiner Fürsorge an – Dein Wille geschehe! Lang lebe Frankreich! Heute muss unser Adler über Sewastopol aufsteigen! 58
    Nicht alle Vorbereitungen der Alliierten verliefen nach Plan. Am Abend kam es zu Desertionen aus dem französischen und britischen Lager – nicht nur durch einfache Soldaten, sondern auch durch Offiziere, die sich dem bevorstehenden Angriff nicht gewachsen fühlten und zum Feind überliefen. Die Russen wurden von einem französischen Gefreiten vor dem Ansturm gewarnt; der Mann war vom Generalstab desertiert und überbrachte ihnen einen detaillierten Plan. »Die Russen kannten, bis in die kleinste Einzelheit, die Position und Stärke all unserer Bataillone«, schrieb Herbé, der dies später von einem hohen russischen Offizier erfuhr. Zudem hatte der Feind Warnungen von britischen Deserteuren erhalten, darunter

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