Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
sowjetischen Streitkräften im Kaukasus entsandten die Vereinigten Staaten im August 1936 Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer. Gleichzeitig forderte Stalin Änderungen an Pudowkins Film: Der Schwerpunkt verlagerte sich von Nachimow als Mann auf Nachimow als Militärführer gegen den ausländischen Feind; und Großbritannien wurde als Gegner Russlands dargestellt, der die Türken benutzt habe, um seine aggressiven imperialistischen Ziele im Schwarzen Meer zu verfolgen. Genau das Gleiche lastete Stalin den Amerikanern in der ersten Phase des Kalten Krieges an. 30
Einen ähnlichen patriotischen Kurs schlug der große Historiker der Stalin-Ära, Jewgeni Tarle, in seiner zweibändigen Geschichte mit dem Titel Der Krimkrieg (1941–1943), in seiner Biografie Nachimow (1948) und seinem späteren Buch Die Stadt des russischen Ruhmes. Sewastopol in den Jahren 1854/55 (1955) ein, das aus Anlass der Hundertjahrfeier veröffentlicht wurde. Tarle äußerte sich sehr kritisch über die zaristische Führung, doch er verherrlichte den patriotischen Mut und die Widerstandskraft des russischen Volkes. Es habe sich am Vorbild von Helden wie Nachimow und Kornilow orientiert, die ihr Leben für die Verteidigung Russlands gegen die »imperialistische Aggression « der Westmächte geopfert hätten. Die Tatsache, dass die Feinde Russlands im Krimkrieg – Großbritannien, Frankreich und die Türkei – nun sämtlich NATO -Mitglieder und Gegner des 1955 gegründeten Warschauer Pakts waren, verlieh der sowjetischen Hundertjahrfeier zusätzliche Spannung.
Der Stolz auf die Helden von Sewastopol, der »Stadt des russischen Ruhmes « , bleibt eine wichtige Quelle der nationalen Identität, obwohl sie sich heute außerhalb Russlands befindet – ein Ergebnis der Übertragung der Krim an die Ukraine durch Nikita Chruschtschow im Jahr 1954 und der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991. Mit den Worten eines russischen nationalistischen Dichters:
Die Ruinen unserer Supermacht
Bergen ein Paradox der Historien:
Sewastopol – die Stadt der russischen Glorien –
Liegt nicht auf russischen Territorien. 31
Der Verlust der Krim bedeutete einen schweren Schlag für die Russen, deren Nationalstolz nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs ohnehin zu leiden hatte. Nationalisten setzen sich energisch für die Rückkehr der Krim zu Russland ein, nicht zuletzt in Sewastopol selbst, das weiterhin eine russische Bevölkerungsmehrheit hat.
Die Erinnerungen an den Krimkrieg rühren noch heute tiefe Gefühle des russischen Stolzes und des Zornes auf den Westen auf. Im Jahr 2006 hielt das Zentrum des Nationalen Ruhmes von Russland – unterstützt von Wladimir Putins Präsidentschaftsverwaltung sowie dem Bildungs- und Verteidigungsministerium – eine Konferenz über den Krimkrieg ab. Die Schlussfolgerung der Konferenz, von den Organisatoren in einer Presseerklärung bekannt gegeben, lautete, dass der Krieg nicht mit einer Niederlage Russlands, sondern mit einem moralischen und religiösen Sieg, einem nationalen Akt der Opferung in einem gerechten Krieg, geendet habe; die Russen sollten das autoritäre Beispiel von Nikolaus I. ehren, den die liberale Intelligenzija unfairerweise verhöhnt habe, denn er sei zur Verteidigung der Interessen seines Landes gegen den Westen angetreten. 32 Der Ruf von Nikolaus I., dem Mann, der die Russen gegen die Welt in den Krimkrieg führte, ist in Putins Russland also wiederhergestellt worden. Heute hängt auf Putins Befehl ein Porträt des Zaren im Vorzimmer des Präsidentenbüros im Kreml.
Am Ende des Krimkriegs lag eine Viertelmillion Russen in Massengräbern in der Umgebung von Sewastopol. Überall im Umkreis der Schlachtfelder von Inkerman und Alma, des Tschornaja-Tals, von Balaklawa und Sewastopol sind unbekannte Soldaten begraben. Im August 2006 entdeckte man die Überreste von vierzehn russischen Infanteristen des Wladimir- und des Kasaner Regiments unweit des Ortes, an dem sie während der Schlacht an der Alma gefallen waren. Neben ihren Skeletten fand man Rucksäcke, Wasserflaschen, Kruzifixe und Granaten. Die Gebeine wurden mit militärischen Ehren in einer Zeremonie, an der ukrainische und russische Regierungsvertreter teilnahmen, am Museum der Alma bei Bachtschisserai neu beigesetzt, und in Russland gibt es Pläne, dort eine Kirche zu bauen.
* Inzwischen ist gezeigt worden, dass das Metall in Wirklichkeit von antiken chinesischen Kanonen stammte (J. Glanfield,
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