Krishna-Zyklus 10 - Die Kontinente-Macher
Rotor und der Steuerschwanz wieder abmontiert wurden. Kurze Zeit später stieg Edwards wieder ein, und sie fuhren los.
Nach mehrmaligem Abbiegen in beide Richtungen hielten sie erneut an. Die Tür wurde von außen aufgemacht. Es war stockdunkel. Jemand sagte: »Beeilen Sie sich, Graham!«
Man führte ihn über einen betonierten Pfad zu einem alten Haus, das vom gleichen Typ war wie das in der Bronx, an welchem ihre Fahrt begonnen hatte. Graham bemerkte jedoch einen markanten Unterschied: Statt der Geräusche des Stadtverkehrs war hier das nahe Tosen von Brandung zu hören, und die Luft roch nach Meer. Das Haus schien eines von mehreren, in ziemlichem Abstand auseinander stehenden gleichartigen Häusern zu sein. Die Vorderfront lag zur Straße hin, auf der der Ksenzov stand. Sand, offenbar vom Strand herübergeweht, knirschte auf dem Betonpfad unter Grahams Schuhen. Oben sah er Sterne, jedoch keinen Mond. Das Grundstück, das das Haus umgab, wirkte wie das Resultat eines gescheiterten Versuchs, eine Dünenlandschaft in einen Garten zu verwandeln.
Es war kurz nach neun. Also mussten sie ihn zu einem Punkt an einer der nahe gelegenen Küsten gebracht haben – welche Küste, konnte er nicht sagen.
Die Tür öffnete sich, und Graham trat ein, umringt von der kleinen Gruppe. Einen Augenblick lang verharrten sie dichtgedrängt in der engen Diele, bis jemand Licht machte.
Graham stand direkt neben einem kleinen Dielentisch, auf dem eine Tischlampe stand. Das Licht der Lampe fiel auf ein Messingtablett, auf dem ein kleiner Stapel Briefe lag. Ein weiterer amateurhafter Schnitzer! Während die Männer ihn weiterdrängten, warf er einen raschen Blick auf den zuoberst liegenden Brief. Er war adressiert an:
Mr. Joseph Aurelio
1400 South Atlantic Ave.
Bay Head, N. J.
Der Name ›Aurelio‹ kam ihm irgendwie bekannt vor …
Aber Graham hatte jetzt keine Zeit, über diese Frage nachzudenken, denn die Männer schoben ihn eine Treppe hinauf und weiter in ein Zimmer. Sie zogen das Rouleau herunter und knipsten das Licht an.
»Durchsucht ihn!« befahl Lundquist.
Flinke Hände tasteten ihn sorgfältig und geschickt von Kopf bis Fuß ab und nahmen ihm das Messer, die Schlüssel und das Armbandtelefon ab – kurzum, alles, was er bei sich hatte, bis auf sein Taschentuch und seinen Kamm.
»So, das wär’s fürs erste«, knurrte Lundquist. »Nehmen Sie’s leicht und legen Sie sich schlafen. Der Boss wird erst morgen früh hier sein. Und keine Tricks, mein Freund! Wir haben immer noch Ihre Freundin, vergessen Sie das nicht. Und falls Sie irgendwas wollen, hauen Sie gegen die Tür.«
»Okay«, murmelte Graham, und die Männer gingen hinaus.
Als sie die Tür zugezogen und abgeschlossen hatten, sah er sich sofort in dem Raum um. Das Bett war ein mickriges Ding aus Stahlrohr. Dass die Hersteller von Betten noch immer nicht kapiert hatten, dass es auch große Leute gab! Seine Beine würden über das Fußende hinausragen, da musste er nicht eigens probeliegen. Außer dem Bett enthielt das Zimmer nur noch einen wackligen Stuhl und einen kleinen alten Schreibtisch, der zudem leer war. Nichts, womit man ein Schloss hätte öffnen können, selbst wenn er gewusst hätte, wie man Schlösser aufkriegt.
Er zog das Rouleau hoch und stellte fest, dass das Fenster von innen vergittert war. Die Stäbe waren aus solidem Eisen und verliefen senkrecht in einem Abstand von etwa fünf Zentimetern. Das Gitter war oben und unten am Fensterrahmen festgeschraubt. Eine rasche Untersuchung ergab, dass die Muttern, die die Stäbe hielten, an ihren Schrauben festgerostet waren. Sie zu lösen, war aussichtslos ohne Werkzeug.
Er schaltete das Licht aus, um nach draußen sehen zu können. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er das Meer erkennen – ein ruhiges Meer mit kaum mehr als einen Meter hohen Brechern. Zur Linken durchschnitt eine dunkle Linie den Strand und setzte sich weiter oben in nördlicher Richtung fort, parallel zur Küstenlinie verlaufend. Da es sich allem Anschein nicht um einen Strandsteg handelte, schloss Graham, dass es der Bretterzaun eines Nudistenstrandes sein musste.
Bei diesem Gedanken fiel ihm schlagartig ein, wo er dem Namen ›Aurelio‹ schon einmal begegnet war: auf einer Reklametafel auf den Jersey-Wiesen, an der er gelegentlich mit dem Zug vorbeifuhr. Sie trug die Aufschrift:
ROYAL BRUSTPERÜCKEN
Joseph Aurelio Inc.
Newark, N. J.
Das Bild auf der Tafel zeigte drei Badende an
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