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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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alles Selbstbewusstsein, das er aufbringen konnte, in seine Stimme. Bärtig und ungewaschen, wie er war, mit zerrissenen Kleidern und ohne Schuhe, war er sich seiner jämmerlichen Erscheinung wohl bewusst. Aber er wusste auch, dass er Halona und die anderen Frauen nur dann schützen konnte, wenn er jetzt keine Zeit verlor. Auf keinen Fall wollte er die nächsten Tage in einem Gefangenenlager fristen, während die Krieger Baha-Uddins im Frauenlager wüteten. Um das zu verhindern, gab es nur einen Weg …
    »Du hast recht, ich bin kein Rakschun«, sagte er laut und deutlich. »Aber ich bin auch kein Sklave. Ich bin Prinz Kavan von Baha-Uddin, Sohn von König Azenor und dessen rechtmäßiger Thronfolger.«
    »Du lügst!« Der Krieger mit der Armbrust dachte nicht daran, die Waffe zu senken. »Prinz Kavan ist tot!«
    »Nein, er lebt.« Kavan sprach ganz ruhig. »Er steht vor dir. Mehr als ein halbes Jahr lang lebte ich in Gefangenschaft bei den Rakschun und musste ihnen als Sklave zu Diensten sein. Doch das ist jetzt vorbei. Bringt mich zu General Triffin, er wird bestätigen, dass ich die Wahrheit sage.«
     
    *  *  *
    Als Noelani die Augen aufschlug, war die Welt um sie herum in leuchtendes Weiß gehüllt. Ihr Kopf schmerzte, und ihre Glieder fühlten sich an, als wären sie aus Stein, aber sie wusste sofort, dass ihr die Rückkehr in den eigenen Körper gelungen war, und das machte sie glücklich.
    »Sie soll mit einem Boot auf das Meer hinausfahren?«, hörte sie eine tiefe unbekannte Stimme sagen. »Tot? Was für ein Unsinn. Außerdem ist das Meer viel zu weit weg.«
    »Aber so schreibt es die Tradition meines Volkes vor.« Es war Jamak, der antwortete. »Die Maor-Say wird bei uns seit Generationen mit einem von Blumen geschmückten Boot auf das Meer hinausgeschickt, um die letzte Reise zu begehen. Sie ruht auf ölgetränktem Astwerk und Stroh, das von den Jägern mit Bandpfeilen entzündet wird, sobald das Meer sie angenommen hat. So war es immer, und so wird es auch für Noelani sein.«
    »Unmöglich.« Der Mann mit der tiefen Stimme ließ ein rasselndes Husten erklingen, zog die Nase hoch und sagte: »Wir verscharren unsere Toten in der Erde, einfache Soldaten zusammen in einem Loch, Ranghöhere bekommen ein eigenes. Das kann ich für sie auch machen.«
    »Ihr grabt sie ein?« Jamak war erschüttert. »Niemals. Noelani wird mit allen Ehren meines Volkes zu den Ahnen gehen.«
    »Ich gehe nirgendwo hin.« Nur mit einer gewaltigen Willensanstrengung gelang es Noelani, die Worte zu formen, das Tuch von ihrem Gesicht zu ziehen und sich aufzurichten. Ihre Kehle war wie ausgedörrt, die Lippen aufgesprungen und die Gelenke unbeweglich.
    »Beim Blute meiner Väter!« Der Totengräber riss furchtsam und erschrocken zugleich die Augen auf, schnappte nach Luft und stürmte aus dem Zelt.
    »Noelani!« Jamak strahlte über das ganze Gesicht und kam auf sie zu. »Du … du lebst. Aber du warst doch tot«, sagte er in ungläubigem Staunen. »Oder nicht?«
    »Ich habe meinen Körper für eine Weile verlassen«, sagte Noelani langsam. »Tot war ich nicht. Es war mehr wie … bei einer Geistreise.«
    Der Blick, mit dem Jamak sie bedachte, verriet, dass er ihr das nicht so einfach glauben konnte. Zu oft schon hatte er während einer Geistreise an ihrer Seite gewacht. Er musste den Unterschied gespürt haben. »Ich weiß, dass du tot warst, Noelani«, sagte er noch einmal auf eine Weise, als wolle er sich dafür entschuldigen, den Totengräber gerufen zu haben. »Sonst hätte ich nie …«
    »Lass es gut sein, Jamak.« Noelani lächelte, gerührt von dessen hilflosem Versuch, sein Verhalten zu rechtfertigen. »Ich bin zurück. Das allein zählt. Aber es ist gut zu wissen, dass du dich für mich einsetzt. Ich möchte wirklich nicht irgendwo hier in der Steppe verscharrt werden.«
    »Darüber müssen wir uns jetzt keine Gedanken machen«, sagte Jamak erleichtert. Er goss etwas Wasser aus einem Krug in einen Becher, reichte ihn Noelani und sagte: »Du lebst. Alles wird gut.«
    »Das hoffe ich.« Noelani trank alles aus, schob das weiße Laken fort und schwang die Beine vom Lager. »Bring mich zu General Triffin«, forderte sie. »Ich muss mit ihm sprechen.«
    Eine Viertelstunde später betraten Noelani und Jamak das Zelt des Generals. Triffin saß in einem gepolsterten Stuhl, hielt einen Pokal mit Wein in der Hand und blickte ihnen entgegen, als sie eintraten. Noelani war überrascht, dass er nicht bei den Kriegern auf der

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