Kristall der Macht
vertreiben«, gab Noelani zu bedenken. »Es ist inzwischen auch ihre Heimat.«
»Dann werden sie sich wohl oder übel vertragen müssen«, folgerte Kaori. »Das Land ist groß und bietet Platz für alle.«
»Ob das gut geht? Nach allem, was geschehen ist?« Noelani seufzte.
»Wenn die Anführer einsichtig sind und einen Vertrag schließen, wird das Volk sich fügen«, sagte Kaori. »Olufemi und König Azenor sind mächtig genug, um so etwas durchzusetzen. Außerdem sind beide Völker des Kämpfens müde und sehnen sich nach Frieden. Es wird eine Weile dauern, bis sich die Wunden geschlossen haben, die der Krieg gerissen hat, aber ich bin sicher, die nächsten Generationen werden keinen Groll mehr gegeneinander hegen – solange man die Völker selbstbestimmt leben lässt und niemand unterdrückt wird.«
»Ich wünschte, es wäre so einfach.« Noelani seufzte, überlegte kurz und sagte dann: »Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als es einfach darauf ankommen zu lassen. Vielleicht haben wir Glück, und die Vernunft ist stärker als die alte Feindschaft. Pass auf, ich denke es mir so …«
* * *
König Azenors Ankunft im Lager kam einem Triumphzug gleich. Boten waren vorausgeritten, um sein Nahen zu verkünden und so hatten sich Tausende Krieger eingefunden, um dem Mann zuzujubeln, den sie gleichermaßen fürchteten und verehrten. Dass er ihnen im Augenblick tiefster Verzweiflung mit List und Magie einen Sieg ohne eigene Verluste beschert hatte, ließ sie die Entbehrungen der vergangenen Monate und das Elend in den Flüchtlingslagern vergessen. Selbst die Willkür und die Ungerechtigkeit, mit der König Azenor seit Jahren über Baha-Uddin herrschte, waren in diesem Augenblick aus den Gedanken der Krieger verschwunden. Der Sieg über die Rakschun, auf den niemand mehr zu hoffen gewagt hatte, stellte alles andere in den Schatten, und so ließen sie ihren König jubelnd hochleben, der in prächtiger Rüstung auf einem zweispännigen Streitwagen in das Heerlager einzog.
»Ein wahrhaft königlicher Empfang.« Fürst Rivanon wirkte so selbstbewusst, als gelte der Jubel ihm. Zusammen mit General Triffin, Noelani, Jamak und den wichtigsten Befehlshabern des Heeres stand er vor dem großen Zelt, in dem alle Zusammenkünfte und Besprechungen abgehalten wurden, und blickte dem König entgegen.
»Erstaunlich, wie schnell er die Gunst der Krieger zurückgewonnen hat«, bemerkte Triffin.
»Einem Sieger folgt man eben gern.« Rivanon grinste.
Triffin schluckte die bissige Bemerkung herunter, die ihm auf der Zunge lag. Nach allem, was geschehen war, war es offensichtlich, dass der König Fürst Rivanon das größere Vertrauen entgegenbrachte. Auch wenn er mit vielem, was geschehen war, nicht einverstanden war, durfte er es nicht riskieren, sein Ansehen durch unbedachte Äußerungen weiter zu schwächen. Immerhin war Baha-Uddin aus diesem Krieg als Sieger hervorgegangen, und König Azenor würde noch lange die Geschicke des Landes lenken, bevor sein Sohn die Macht übernehmen konnte.
Ein dünnes Lächeln umspielte Triffins Mundwinkel, als er an Prinz Kavan dachte, der in seinem Zelt darauf wartete, seinem Vater gegenüberzutreten. Außer ihm selbst und dem Bartscherer, den er unter Androhung grausamster Strafen zum Stillschweigen verpflichtet hatte, wusste niemand im Lager, dass der Prinz zurückgekehrt war. Triffin war schon sehr gespannt darauf, wie der König und die anderen die Neuigkeit aufnehmen würden, wenn er ihnen Prinz Kavan bei dem geplanten Festessen am Abend vorstellen würde.
Das Schnauben von Pferden und das Scharren ihrer Hufe rissen Triffin aus seinen Gedanken. König Azenor hatte die Gruppe der Befehlshaber erreicht, die Pferde gezügelt und den Streitwagen anhalten lassen. Mit einem selbstbewussten Lächeln auf den Lippen reichte er einem herbeigeeilten Pferdeburschen die Zügel, verließ den Wagen und schritt auf seine Befehlshaber zu. »Fürst Rivanon«, sagte er in salbungsvollem Ton, ganz so, als wäre niemand anderes da, den es zu begrüßen galt. »Ganz Baha-Uddin spricht von dem triumphalen Sieg, den Ihr für uns errungen habt. Ihr habt Eurem Land einen unschätzbaren Dienst erwiesen und Tausende Krieger vor dem Tod bewahrt. Seid gewiss, diese ruhmreiche Tat wird nicht vergessen werden und einen würdigen Platz in den Geschichtsbüchern Baha-Uddins einnehmen.«
Er legte Fürst Rivanon anerkennend die Hand auf die Schulter, trat einen halben Schritt zur Seite und drehte sich
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