Kristall der Macht
fragte: »Und? Will irgendjemand hier meinem missratenen Sohn folgen?«
»Ich!« General Triffin hatte seinen Entschluss längst gefasst. »Auch ich ziehe mein wahres Leben diesem elenden Dasein vor. Stolz mag eine Tugend sein. Hier aber wäre es dumm, aus Stolz zu verharren.« Er schaute die Hauptleute an und fragte: »Kommt ihr mit?« Die Männer zögerten und tauschten unsicher Blicke. Dann nickten sie.
»Verrat!« König Azenor war außer sich vor Wut. »Ihr seid alle Verräter!«, rief er Triffin und den anderen hinterher, als diese sich anschickten, das Zelt zu verlassen. Dann fiel sein Blick auf Rivanon, der noch immer vor ihm stand, und er sagte: »Wenigstens du handelst ehrenhaft.«
»Nun … wenn ich es mir recht überlege, würde ich auch lieber in meine sterbliche Hülle zurückkehren«, räumte Rivanon vorsichtig ein. »In dieser flüchtigen Hülle scheint mir das Dasein ein wenig fad zu sein. Was wäre das für ein Leben ohne köstliche Speisen, edlen Wein und die weiche Haut einer Frau …« Er verstummte und meinte dann: »Vielleicht sollten wir uns wenigstens einmal ansehen, was die Maor-Say von uns erwartet.«
»Rivanon hat recht«, mischte Triffin sich in das Gespräch ein. »Es kann nicht schaden, wenn Ihr Euch selbst ein Bild macht. Nein sagen könnt Ihr immer noch.«
König Azenor überlegte kurz, dann straffte er sich, nickte und sagte: »Also gut. Sehen wir es uns an.«
Offenbar hatte die Maor-Say fest damit gerechnet, dass der König ihr noch folgen würde, denn sie wartete mit den anderen vor dem Zelt, als er mit Triffin und Rivanon herauskam. Nicht die kleinste Regung verriet, was sie gerade dachte. Als alle beisammen waren, sagte sie nur: »Folgt mir.«
Es war ein seltsames Gefühl für Triffin, im schwindenden Tageslicht durch das vertraute Lager zu schweben, ohne den Boden unter den Füßen zu spüren. Überall waren die Krieger dabei, ihr Tagwerk zu beenden, aber niemand sah auf, als die Gruppe vorüberzog. Niemand grüßte. Und selbst wenn jemand etwas Verbotenes tat, gab er sich keine Mühe, dies vor ihnen zu verbergen.
Weil wir nicht da sind … Der Gedanke ließ Triffin erschaudern und führte ihm mehr als alles andere vor Augen, wie weit er sich von der Welt der Lebenden entfernt hatte, obwohl er sich im Innersten noch mittendrin wähnte. Mehr noch als im Zelt spürte er, dass Prinz Kavan recht hatte: Diese Welt war keine, in der er auch nur einen Augenblick länger als nötig ausharren wollte.
Die Maor-Say führte sie zum Fluss, wo ein wenig abseits eine Gruppe von Kriegern wartete. Die Sonne stand tief und blendete Triffin, sodass er lange nicht erkennen konnte, um wen es sich handelte. Dann sah er es. Rakschun. Am Fluss standen acht Rakschun – und erwarteten sie!
»Was soll das?« König Azenor blieb abrupt stehen. »Ich gehe da nicht hin!«, sagte er bestimmt. »Niemals!«
»Dann haben die Rakschun dir etwas voraus«, sagte die Maor-Say.
»Was sollen diese Barbaren mir voraushaben?«
»Vernunft!« Die Maor-Say schwebte zum König zurück und sagte: »Die Anführer der Rakschun haben bereits eingesehen, dass allein eine Verhandlung, an deren Ende ein dauerhafter Frieden steht, die Lösung sein kann.«
»Verhandlung? Ich soll mit diesen Barbaren verhandeln und Frieden schließen?«, rief der König empört aus. »Niemals! Ich habe sie besiegt. Sie haben mir zu gehorchen.«
»Du hast sie nicht besiegt«, widersprach die Maor-Say.
»Sie haben den Krieg verloren, das allein zählt.« Der König blieb stur. »Mit den Rakschun verhandle ich nicht. Niemals. Ich werde nicht verraten, wofür meine Vorfahren so ehrenhaft gekämpft haben.«
»Gekämpft?« Die Maor-Say lachte leise. »Du meinst wohl, was deine Vorfahren angerichtet haben. Das Leid und das Elend, das sie mit ihren Schwertern über das friedliche Volk brachten, das die Rakschun einst waren, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Die vielen tausend Toten, die sie auf ihren Eroberungsfeldzügen gegen die wehrlosen Menschen zurückgelassen haben, bis auch der letzte schwimmend über den Gonwe in die karge Steppe floh und kein Einziger mehr auf dem Boden Baha-Uddins lebte, zeichnen ein erschreckendes Bild der Ehrenhaftigkeit, von der du sprichst. Ist es das, was du unter Ehre verstehst?«
»Jeder Krieg fordert Opfer«, sagte der König leichthin. »Es ist das Gesetz des Krieges, dass der Schwächere am Ende unterliegt.«
»Das war kein Krieg! Das war ein gnadenloses Abschlachten Wehrloser. Ein Völkermord mit
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