Kristall der Macht
beirren.
»Du nennst es Würde. Ich nenne es Sturheit und Arroganz.«
»Hüte deine Zunge, General. Das ist Hochverrat!« Fürst Rivanon wirbelte herum und funkelte Triffin wütend an. »Vergiss nicht, dass auch du nicht ganz unschuldig bist an diesem Elend.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt.« Triffin blieb ganz ruhig.
»Wen interessiert schon die Meinung eines Einzelnen, wenn das Volk nach einem Sündenbock verlangt?« Ein spöttisches Lächeln umspielte die Lippen des Fürsten. »Du solltest mit deinen Äußerungen etwas vorsichtiger sein. Wer auf Zinnen steht, sollte sich nicht zu weit über die Stadtmauer lehnen.«
»Die Warnung gebe ich gern zurück.« Triffin straffte sich, schenkte dem verdutzten Fürsten ein wissendes Lächeln und verließ die Stadtmauer, um sich wichtigeren Dingen zuzuwenden.
Er war gerade erst vom Gonwe zurückgekehrt.
Der Zufall hatte es gewollt, dass er Fürst Rivanon unmittelbar nach seiner Ankunft in die Arme gelaufen war, der ihn sofort in Beschlag genommen hatte. Was mit einer belanglosen Plauderei begonnen hatte, hatte sich, wie so oft, rasch zu einem Streitgespräch entwickelt, und Streit war nun wirklich das Letzte, wonach Triffin an diesem Morgen der Sinn stand. Er war gekommen, um dem König Bericht über den Fortgang der Verteidigungsmaßnahmen zu erstatten, und natürlich auch, um zu erfahren, ob es schon Neuigkeiten von Arkon gab. So führte ihn sein erster Weg nach dem unangenehmen Gespräch nicht zum König, sondern direkt zu Maels kleiner Schmiede, wo er eine von Arkons Tauben zu finden hoffte.
»Ah, General!« Mael schürte gerade die Glut des Schmiedefeuers, als er eintrat. »Ihr kommt wie gerufen.«
»Gibt es Neuigkeiten?« Triffin hatte Mühe, nicht ungeduldig zu klingen.
»Oh ja, die gibt es.« Mael legte den Schürhaken fort, drehte sich um und nahm etwas zur Hand, das auf dem Tisch hinter ihm gelegen hatte. »Das hier ist heute für Euch angekommen«, sagte er mit breitem Grinsen, überreichte General Triffin ein kleines Röhrchen, dessen Enden mit Wachs verschlossen waren, und fügte hinzu: »Ich habe doch gesagt, dass meine Tauben schnell und zuverlässig sind.«
»Ja, das hast du.« Triffin hielt das Röhrchen ins Licht, betrachtete es prüfend von allen Seiten und nickte zufrieden. Das Wachs war nicht gebrochen, das Siegel unversehrt. »Und wie es scheint, hast du nicht zu viel versprochen.«
»Ich … ich habe es nicht geöffnet«, beeilte sich Mael zu erklären, als hätte er einen unterschwelligen Vorwurf in Triffins Worten vernommen. »Wirklich nicht. Ich …«
»Das sehe ich.« Vorsichtig löste der General das Siegelwachs, mit dem das Röhrchen verschlossen war, und zog mit spitzen Fingern ein zusammengerolltes Pergament daraus hervor. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Mael unauffällig näher rückte, wohl in der Hoffnung, einen Blick auf die Botschaft werfen zu können. »Ich lese sie später«, entschied er kurzerhand, steckte das Pergament in die kleine Röhre zurück, ließ diese in die Tasche seines Mantels gleiten und machte ein paar Schritte auf die Tür zu. Bevor er hinausging, blieb er noch einmal stehen und sagte: »Gib gut auf die Taube acht. Ich werde dir noch heute Abend eine Antwort für Arkon bringen.«
»Die Taube wird bereit sein.« Mael nickte ernst. Es war ihm nicht anzusehen, ob er sich über Triffins Geheimniskrämerei ärgerte. Und selbst wenn: Was in der Botschaft stand, ging niemanden etwas an. Triffin würde sie verbrennen, sobald er sie gelesen hatte. Als er die Tür der Schmiede öffnete, riss eine Windböe ihm diese aus der Hand. Mit einem lauten Krachen knallte sie gegen die Hauswand.
»Sieht aus, als ob es Sturm gibt«, hörte er Mael hinter sich sagen.
Triffin antwortete nicht. Er hatte Mühe, die Tür zu schließen, denn der ersten Böe folgten weitere, und ein Blick zum Himmel ließ erahnen, dass auch der Regen nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Wenn er den Palast von König Azenor noch im Trockenen erreichen wollte, musste er sich sputen.
* * *
Die Ruhe, die dem Sturm folgte, war für Kaori nur schwer zu ertragen. Anders als ihre Schwester, die die anderen im Sturm aus den Augen verloren hatte, wusste sie, dass sieben Boote den Sturm überstanden hatten. Und auch wenn sie in der kurzen Zeit nicht hatte feststellen können, wie viele Überlebende es auf jedem der Boote gab, so war es doch immerhin ein Hoffnungsschimmer und ein Zeichen dafür, dass nicht alles verloren
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