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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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war.
    »Nicht alles ist verloren, nur drei Boote«, sagte Kaori zu sich selbst und versuchte, nicht daran zu denken, dass drei Boote immerhin den Verlust von neunzig Menschenleben bedeuteten. Für Trauer war keine Zeit. Der Sturm hatte die Boote der Flüchtlinge nicht nur in alle Richtungen auseinandergetrieben, er hatte sie auch weit vom Kurs abgebracht. So weit, dass es den Flüchtlingen unmöglich war, den ersehnten Küstenabschnitt lebend zu erreichen.
    Kaori seufzte und unterzog die scheinbar aussichtslose Lage einer kurzen Prüfung: Die sieben Boote waren alle erheblich beschädigt und so weit auseinandergetrieben worden, dass sie die anderen nicht sichten konnten. Keines der Boote hatte noch Lebensmittel oder Trinkwasser an Bord. Die Menschen selbst waren erschöpft, hungrig und durchnässt. Ein paar Männer benutzten Planken der Plattform als primitive Paddel, um das Boot in der Flaute voranzubringen, aber sie schienen nicht zu wissen, in welche Richtung sie sich wenden sollten. Kaori war nicht entgangen, dass jedes Boot einen anderen Kurs eingeschlagen hatte.
    Es war schlimm für sie zu sehen, wie schlecht es den Menschen auf den Booten ging. Noch schlimmer war es, die verzweifelten Bemühungen mit anzusehen, mit denen sie gegen das offenbar Unausweichliche ankämpften, und gleichzeitig zu wissen, dass es vergebens sein würde. Am schlimmsten aber war es zu wissen, wo rettendes Land zu finden war, und es den Flüchtlingen nicht mitteilen zu können.
    Nachdem Kaori alle sieben Boote entdeckt hatte, hatte sie sich auf die Suche nach einer Küste gemacht und tatsächlich im Westen Land entdeckt. Kaori spürte, wie sich bei dem Gedanken an die Küste eine leise Hoffnung in ihr regte, aber sie machte sich nichts vor. Das Land war viel zu weit weg, um es ohne Segel und günstigen Wind zu erreichen. Selbst wenn alle auf den Booten bis zur Erschöpfung paddeln würden, würde es mindestens zwei Tage dauern, es zu erreichen. Eine lange, vermutlich zu lange Zeit, die ohne Wasser und Nahrung kaum einer überstehen würde.
    Niedergeschlagen ließ Kaori sich neben Noelani auf die nassen Planken nieder. Sorgen, Kummer und Verzweiflung hüllten ihre Schwester wie ein düsterer Mantel ein. Sie hob die Hand und strich ihr tröstend über die Wange, aber Noelani war so in Gedanken versunken, dass sie es nicht spürte.
    »Wenn ich doch nur mit dir reden könnte«, sagte Kaori traurig. »Dann könnte ich dir von den anderen Booten erzählen und von dem Land, das ich gesehen habe. Dann könnten wir gemeinsam überlegen, wie es weitergehen soll. Aber so?« Sie seufzte betrübt. War sie wirklich dazu verdammt, untätig zuzusehen, wie die Letzten ihres Volkes starben? Konnte sie gar nichts tun?
     
    *  *  *
    General Triffin hatte es eilig.
    Der auflebende Wind zerrte an seinem Umhang und trug die Vorahnung von Regen in sich, während das Rauschen der fernen Brandung unheilvoll von dem nahenden Unwetter kündete. Triffin zweifelte nicht daran, dass es schon bald über die Stadt hereinbrechen würde, denn im Süden türmte sich unübersehbar eine dunkle Wolkenwand auf, die sich rasch nordwärts schob und das Sonnenlicht auslöschte.
    Er war froh, als er den Palast erreichte, wo hinter den dicken Mauern nichts von dem Sturm zu spüren war. Das Erste, was ihm auffiel, war, dass man die Wachen am Eingang des Palastes mehr als verdoppelt hatte. Wo noch vor einem halben Jahr zwei Posten Wache gestanden hatten, waren es nun sechs, die am Portal dafür sorgen sollten, dass kein Unbefugter in den Palast gelangte.
    General Triffin kümmerte das nicht. Die Wachen erkannten ihn schon von Weitem, nahmen Haltung an und salutierten, als er an ihnen vorüberging. Allein ihre Anwesenheit war bezeichnend für die Stimmung, die in der Stadt herrschte, und ein Indiz dafür, dass König Azenor sich nicht mehr sicher fühlte.
    Auch im Innern des Palastes hatte sich etwas geändert. Vor vielen Türen, an denen Triffin sonst achtlos vorübergegangen war, sah er nun Wachen stehen und fragte sich, was es dahinter wohl Wichtiges geben mochte, das den enormen Aufwand rechtfertigte. Er wusste, dass es ihm nicht zustand, darüber zu urteilen, dennoch konnte er nicht verhindern, dass er zunehmend wütender wurde, je mehr Wachen er in den Fluren und Gängen des Palastes antraf.
    Als der königliche Befehl, der einen Teil der Krieger in die Stadt zurückbeorderte, am Gonwe eingetroffen war, war Triffin damit nicht einverstanden gewesen. Nur widerwillig war er

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