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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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sie herum war wieder so grau und trist wie zuvor, aber Noelani spürte tief in sich, dass sich etwas verändert hatte. Was immer die Zukunft auch bringen mochte, sie war entschlossen, sich jeder Herausforderung zu stellen. Sie war bereit zu kämpfen – für ihr Volk und für sich selbst. Aber sie wusste auch, dass alles davon abhing, schnell eine rettende Küste zu erreichen. Ohne Wasser und Nahrung würde ihr Schwur bald nicht mehr wert sein als Worte, die in den Wind gerufen wurden.
    Noelani gestattete es sich nicht, den Gedankenfaden weiter zu spinnen. Um sich abzulenken, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das, was in unmittelbarer Nähe geschah. Dreiundzwanzig Flüchtlinge, so zählte sie, hatten den Sturm auf ihrem Boot wie durch ein Wunder überstanden. Ob sie überleben würden, lag allein in den Händen der Götter. Niemand konnte vorhersagen, wohin Wind und Strömung sie führen würde. Mast und Segel waren fort, das Ruder gebrochen. So weit das Auge reichte, war kein Land in Sicht, und allein die Götter wussten, welches Schicksal ihnen bestimmt war.

6
    In Baha-Uddin war die Nacht ruhig verlaufen. Die Fischer an der Küste hatten ihre Boote am Abend gesichert. Nun fuhren sie wieder hinaus, den Blick sorgenvoll auf den Horizont gerichtet, um ein nahendes Unwetter rechtzeitig zu erkennen. Die Tore der Hauptstadt, die am Abend verriegelt worden waren, weil die Menschen hinter den Mauern Plünderungen durch die Flüchtlinge vor den Stadtmauern fürchteten, wurden bei Sonnenaufgang wieder geöffnet, jedoch fand längst nicht jeder unter dem strengen Blick der doppelten Wachen Einlass.
    Mehr als ein halbes Jahr war seit dem Fall der Festung am Gonwe vergangen, und die Lage der Menschen, die von den Ufern des Flusses an die Küste geflüchtet waren, hatte sich keineswegs gebessert. Immer mehr von ihnen begehrten auf und forderten mit Gewalt das ein, was sie zum Leben benötigten.
    Um die Sicherheit der Stadtbewohner und damit nicht zuletzt auch seine eigene zu gewährleisten, hatte König Azenor einen Teil der Truppen vom Ufer des Gonwe zurückbeordert, die nun vor und in der Stadt patrouillierten und mit immer härteren Strafen versuchten, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Auf Raub oder Plünderung stand der Tod. Ein Verfahren gab es nicht. Die Krieger selbst entschieden an Ort und Stelle über Schuld und Unschuld derer, die ihnen in die Hände fielen. Und so verloren täglich auch Frauen und Kinder ihr Leben, weil Hunger und Verzweiflung ihnen keinen anderen Ausweg ließen, als gegen das Gesetz zu verstoßen.
    Auch die Bewohner der Stadt bekamen die unliebsamen Auswirkungen immer stärker zu spüren, die das Zusammenleben mit den Flüchtlingen mit sich brachte. So konnten Händler die Stadt an Markttagen nur dann unbehelligt erreichen, wenn sie von einem Trupp Krieger begleitet wurden. Denn immer wieder wurden Händler auf dem Weg zum Markt von marodierenden Banden überfallen, ausgeraubt und sogar getötet.
    »Das sind keine Menschen. Das sind Bestien.« Fürst Rivanon stand im Licht der Morgensonne auf den Zinnen der Stadtmauer und ließ den Blick über das umliegende Land schweifen, dorthin, wo sich jenseits der Stadtmauern das gewaltige Flüchtlingslager wie ein bunter Flickenteppich in alle Himmelsrichtungen ausbreitete. »Wenn das Land am Gonwe nicht bald wieder sicher ist, wird Baha-Uddin unweigerlich auf einen Bürgerkrieg zusteuern«, sinnierte er düster.
    »Würde der König die Vorräte gerechter verteilen und den Menschen eine Aufgabe geben, hätten wir ein solches Problem gar nicht.« General Triffin entging der gegen ihn gerichtete Seitenhieb in Rivanons Worten nicht. Monate waren vergangen, aber der Fürst trug ihm immer noch nach, dass die Festung am Gonwe aufgegeben worden war. Vor allem aber ließ er keine Gelegenheit aus, Triffin zu zeigen, dass dies in seinen Augen ein großer Fehler war.
    »Der König tut, was er kann«, erwiderte Rivanon kühl. »Es ist nicht seine Schuld, dass dieses undankbare Pack den Hals nicht vollkriegen kann.«
    »Den Magen«, korrigierte Triffin trocken und fügte hinzu: »Ich weiß, dass die Lage schwierig ist. Dennoch gäbe es Möglichkeiten …«
    »… an die du nicht mal im Traum denken solltest«, unterbrach Fürst Rivanon ihn. »Lieber ehrenvoll in den Tod gehen, als Almosen von König Erell und Königin Viliana anzunehmen.«
    »Verhungern ist nicht ehrenvoll.«
    »Und doch birgt es mehr Würde als Betteln.« Rivanon ließ sich nicht

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