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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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eigenes dunkles Bild vom Grunde aufsteigen und immer klarer werden, je mehr sie sich ihm entgegenbeugte - da sah sie im Spiegel des Baches, daß ein Mensch zwischen den Birken auf der anderen Seite stand und sich ihr zuneigte. Rasch richtete sie sich auf die Knie auf und blickte hinüber. Erst schien es ihr nur, es seien die Felswand und die Bäume, die sich am Fuße der Wand zusammendrängten. Plötzlich aber wurde sie ein Gesicht zwischen dem Laub gewahr. Dort drüben stand eine Frau mit weißem Antlitz, krausem flachsgelbem Haar - die großen hellgrauen Augen und die gespannten blaßroten Nasenflügel erinnerten an die Guldsveins. Sie war in etwas Glänzendes, Laubgrünes gekleidet, und Zweige und Äste verbargen sie bis an die volle Brust hinauf, die mit Spangen und blanken Ketten dicht behängt war.
    Kristin starrte die Erscheinung an - da hob die Frau eine Hand und zeigte ihr einen Kranz aus goldenen Blumen; sie winkte damit.
    Hinter sich hörte Kristin Guldsvein laut und erschrocken wiehern; sie wandte den Kopf - der Hengst bäumte sich auf, schrie, daß es widerhallte, warf sich herum und setzte den Hang hinauf davon, daß die Erde dröhnte. Die anderen Pferde folgten - sie sprangen mitten durch das Geröllfeld hinauf, und die Steine prasselten donnernd hinunter, und Zweige und Wurzeln krachten und wurden geknickt.
    Da schrie Kristin gellend laut. „Vater“, schrie sie, „Vater!“ Sie sprang auf, lief den Pferden nach und wagte nicht über die Schulter zurückzublicken, kletterte im Geröllfeld bergauf, trat auf den Saum ihres Kleides und glitt ein Stück zurück, kletterte wieder hinauf und griff mit blutenden Händen zu, kroch auf wunden, aufgeschlagenen Knien, schrie, zwischen ihren Rufen nach dem Vater, nach Guldsvein - während der Schweiß ihr am ganzen Körper ausbrach, ihr wie Wasser in die Augen rann, und das Herz hämmerte, als wollte es sich am Brustkorb wundschlagen; ein Schluchzen der Angst beengte ihr die Kehle.
    „O Vater, o Vater!“
    Da hörte sie irgendwo über sich seine Stimme. Sie sah ihn in großen Sätzen über das Geröllfeld - das helle sonnenweiße Geröllfeld - herabkommen; Zwergbirken und Espen standen still am Hang, und ihre Blätter glänzten mit kleinen Silberblitzen - der Berghang war so still und so hell, doch der Vater kam heruntergesprungen und rief ihren Namen, und Kristin brach zusammen und begriff, daß sie geborgen war.
    „Sankta Maria!“ Lavrans kniete neben der Tochter und zog sie an sich - er war bleich und hatte einen seltsamen Zug um den Mund, der Kristin noch mehr erschreckte; es war, als erkenne sie erst jetzt in seinem Gesicht, in welch großer Gefahr sie gewesen war.
    „Kind, Kind...“ Er nahm ihre blutigen Hände, sah sie an, sah den Kranz auf ihrem Haar und berührte ihn. „Was ist das -wie bist du hierhergekommen, kleine Kristin?“
    „Ich ging mit Guldsvein“, schluchzte sie, dicht an ihn gedrückt. „Mir wurde angst, weil ihr alle schliefet, aber dann kam Guldsvein. Und dann stand jemand am Fluß unten und winkte mir...“
    „Wer winkte - war es ein Mann?“
    „Nein, es war eine Frau - sie winkte mit einem Kranz aus Gold -, ich glaube, es war ein Zwergenmädchen, Vater...“
    „Jesus Christus!“ sagte Lavrans leise und schlug über sie beide das Kreuz.
    Er half ihr beim Hinaufsteigen, bis sie an eine Grashalde kamen. Da hob er sie auf und trug sie. Sie hing an seinem Halse und weinte laut - konnte nicht aufhören, soviel er sie auch beruhigte.
    Bald trafen sie auf die Männer und auf Isrid. Die schlug die Hände zusammen, als sie hörte, was geschehen war.
    „Ja, das ist freilich das Elfenmädchen gewesen - sie hat dieses schöne Kind in den Berg locken wollen, das könnt ihr glauben.“
    „Schweig!“ gebot ihr Lavrans barsch. „Wir hätten hier im Walde nicht so reden dürfen, wie wir redeten - man weiß nicht, wer unter den Steinen sitzen und jedes Wort hören kann.“
    Er zog die goldene Kette unter seinem Hemd hervor und hängte sie samt dem Reliquienkreuz um Kristins Hals, schob es ihr auf den bloßen Körper unter das Kleid.
    „Aber ihr alle“, sagte er, „mögt euren Mund wohl hüten, denn
    Ragnfrid darf niemals erfahren, daß das Kind sich in solcher Gefahr befunden hat.“
    Nun fingen sie die Pferde ein, die in den Wald gelaufen waren, und gingen dann rasch zu der Almweide hinunter, wo die anderen Pferde waren. Dann saßen alle auf, und sie ritten hinüber zur Jörundhofalm; es war kein langer Weg.
    Die Sonne wollte gerade

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